Bürgerinnen und ihre Familien im hellenistischen Milet. Untersuchungen zur Rolle von Frauen und Mädchen in der Polisöffentlichkeit.
Final Report Abstract
Durch die - wenngleich oftmals nur hypothetische - Rekonstruktion von familialen Zusammenhängen über mehrere Generationen oder sogar Jahrhunderte hinweg, z.B. vom 4. bis ins 2. Jh. v.Chr., kann die Konsistenz und Stabilität der milesischen Funktionselite gezeigt werden, für die allem Anschein nach die veränderten Rahmenbedingungen politischer Aktivitäten in hellenistischer Zeit nicht zu neuen Konstellationen geführt haben. Dass die ehrenvollen Ämter von Propheten und Hydrophoren in Didyma von der milesischen Aristokratie besetzt wurden, war zweifellos schon bekannt; wie intensiv und konsequent diese Beziehungen aber waren, kann hier erstmals unter Einbeziehung aller prosopographischen Daten gezeigt werden. Ebenso wird erkennbar, wie die Verschwägerungen führender Familien funktionierte, indem nunmehr den in der älteren Literatur vernachlässigten Frauen die notwendige Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Den demographisch-politischen Bereich tangiert vornehmlich das Thema der eingebürgerten nothoi/nothai, also der sog. Bastardkinder milesischer Bürger. Hier ist nachzuweisen, daß im frühen 2. Jh. die Milesier ihre restriktive Bürgerrechtspolitik aufgaben und Nachkommen der eigenen Bürger mit Nichtbürgerinnen nicht mehr ausgrenzten. Freilich wird deutlich, dass die Einbürgerung solcher Nachkommen im 3. Jh. ein Oberschichtenphänomen war, so dass mit einer hohen ,Dunkelziffer' von nothoi/nothai weniger prominenter Bürger, die nicht ,naturalisiert' wurden, zu rechnen bleibt. Andere Schichten der Bürgerschaft als die Honoratiorenfamilien finden sich dann in den milesischen Nekropolen, aus denen das epigraphische Material quantitativ auch vom 4. bis zum 1. Jh. v.Chr. deutlich zunimmt. Neben Grablegen von Familien, deren weibliche Angehörige auch in anderen Kontexten begegnen und auf deren Amtswürden gelegentlich die Grabinschriften hinweisen, begegnen Familiengräber und zum Teil aufwendig gestaltete Grabmale von Frauen, die einem mobileren und offenbar weniger exponierten Personenkreis angehörten, wie sich anhand der onomastische Evidenzen zeigen lässt. Freilich gehört auch die Darstellung der verstorbenen Frauen bzw. deren Präsentation durch die Hinterbliebenen, in der sich allem Anschein nach ihre Selbstdarstellung spiegelt, zum Bereich der Kommuniation im Öffentiichen Raum. Daher ist dieser Abschnitt der Studie als sehr ergiebig zu werten. Zu den nicht in dieser Deutlichkeit erwarteten Ergebnissen zählt die Vergleichbarkeit der Familienstrukturen bei den eingebürgerten Familien, unabhängig, ob es sich um kollektiv aufgenommene Kreter, um Personen aus der Region oder aus ferneren Orten handelt. Damit scheint die Hypothese möglich, dass auch für die ,alten' milesischen Familien eine ähnliche Struktur, etwa hinsichtlich der Anzahl von Kindern, anzunehmen ist. Auch die wohl mit verschiedenen sozialen Strata zu erklärenden Unterschiede im Namensmaterial von Bürgern ,zuhause' und ,auswärts' war in dieser Deutlichkeit nicht vorhergesehen.
Publications
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Die Karriere der Milesierin Typhosa Apolloniou, in: V. Grieb, L.-M. Günther (Hgg.), Das imperiale Rom und der hellenistische Osten, Stuttgart 2012
L.-M. Günther,