Archäologie im politischen Diskurs. Ethnische Interpretationen prähistorischer Bodendenkmale in Sachsen, Böhmen und Schlesien zwischen 1918 und 1989
Final Report Abstract
Die Frage ethnischer Beschreibungen und Interpretationen wurde zeitweilig von den Wissenschaftlern bewusst eingesetzt, um bei der Allokation von Ressourcen durch die Politik berücksichtigt zu werden. Nach 1945 argumentierten die Fachgelehrten zwar zurückhaltender und warnten wie Werner Coblenz häufig vor einer Überforderung der Fundquellen, gleichwohl bewegten sie sich in den traditionellen Begründungsmustern ohne deren Sachdienlichkeit anzuzweifeln. Von der heute diskutierten Frage, was archäologische Forschung überhaupt zu leisten imstande ist, war die Wissenschaft weit entfernt. Ethnische Interpretationen sind dem Ursprung nach ein fachliches Problem, das nur im fachinternen Kontext gelöst werden kann. Ein bildungspolitisches Problem stellen hingegen die vorhandenen Überreste der von den politisch-ideologischen Diskussionen überformten Lehrmaterialien und Lehrinhalte von Schulbüchern dar. Vieles deutet darauf hin, dass unmittelbares Anschauungsmaterial noch nach 1945 Anwendung im Unterricht fand. Im Verlauf der Projektarbeit konnte festgestellt werden, dass Modelle vor- und frühgeschichtlicher Artefakte, die zwischen 1933 und 1945 entwickelt wurden und heute Bestandteil universitärer Lehrsammlungen sind, im Studium als Lehr- und Übungsmaterial genutzt werden. Angesichts dieser Tatsache ist die Forderung Frank-Rutger Hausmanns nach der Einrichtung von Lehrstühlen für Disziplingeschichte in den Geisteswissenschaften nachdrücklich zu unterstützen. Die noch heute in der Wissenschaft, in den Museen und Ausstellungen, in der populären Literatur und in den Massenmedien zu findenden Rudimente und Ableitungen ethnozentrischer Stereotype bedürfen dringend einer Überprüfung. Neben den vielseitigen Wechselwirkungen von Wissenschaft und Politik konnten die Institutionalisierung der Bodendenkmalpflege in sächsischen Behörden und Museen nach dem Ersten Weltkrieg und die Etablierung der Vor- und Frühgeschichtsforschung an der Universität Leipzig herausgearbeitet werden. Die jeweiligen Interpretationen der Grabungsergebnisse in Sachsen unterschieden sich wenig von den ethnozentrischen Beschreibungen in der vor- und frühgeschichtlichen Archäologie sowie der Archäologie des Mittelalters andernorts. Mangels spektakulärer Ausgrabungsergebnisse stand aber die Fachwissenschaft auf sächsischem Territorium niemals im Zentrum politischer Auseinandersetzungen, blieb allerdings nicht unberührt davon. Dieses Ergebnis spricht dafür, dass die auch in Sachsen betriebene Ideologisierung der Wissenschaft ein utilitaristischer Versuch der Fachwissenschaftler war, von politischen Entwicklungen zu profitieren, um den institutionellen und personellen Ausbau voranzutreiben. Dessen ungeachtet gab es zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften Wissenschaftler, deren innere Überzeugungen den Konzepten einer Ideologie entsprachen. Die Auswirkungen der Doktrin des historisch-dialektischen Materialismus in der DDR auf museale Präsentationen konnten im Projekt nicht untersucht werden, weil ein solches zentrales Museum nicht existierte. Dennoch gelang es Coblenz, die in der Zeit des Nationalsozialismus gegründete Einrichtung nicht nur zu bewahren, sondern zu einer maßgeblichen Forschungsstelle auszubauen.
Publications
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Werner Coblenz und die prähistorische Archäologie in Sachsen nach 1945. In: Judith Schachtmann/Michael Strobel/Thomas Widera (Hrsg.), Politik und Wissenschaft in der prähistorischen Archäologie. Perspektiven aus Sachsen, Böhmen und Schlesien, Göttingen 2009, S. 193-217
Thomas Widera
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Zur Problematik der ethnischen Interpretation archäologischer Funde und Befunde am Beispiel der Ausgrabungen auf dem Lichteberg bei Sörnewitz (1935) und in Briesnitz (1939). In: Birgit Franz/Gabi Dolff-Bonekämper (Hrsg.), Grenzverschiebungen, Kulturraum, Kulturlandschaft: Kulturerbe in Regionen mit wechselnden Herrschaftsansprüchen. (Veröffentlichungen des Arbeitskreises Theorie und Lehre der Denkmalpflege e.V., Band 18), Holzminden 2009, S. 128-132
Judith Schachtmann
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Von der prähistorischen Sammlung zum Landesmuseum für Vorgeschichte – Die vorgeschichtlichen Ausstellungen im Dresdner Wallpavillon. In: Archäologische Informationen, 33 (2010) 1, S. 59-68
Judith Schachtmann
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Von der Prähistorischen Staatssammlung zum Sächsischen Landesmuseum für Vorgeschichte – Überlegungen zur Museumspolitik. Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Dresden 2010
Judith Schachtmann/Thomas Widera
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Werner Coblenz, die Bodendenkmalpflege und die Anfänge der Kulturbundarbeit in Dresden. In: Regina Smolnik (Hrsg.), Ausgrabungen in Sachsen 2. (Arbeits- und Forschungsberichte zur Sächsischen Bodendenkmalpflege, Beiheft 21), Dresden 2010, S. 36-42
Thomas Widera
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„Eine 3000 Jahre alte Stadt“ – Die Ausgrabungen auf der Heidenschanze von Dresden-Coschütz und ihre Darstellung in der Öffentlichkeit. In: Regina Smolnik (Hrsg.), Ausgrabungen in Sachsen 2. (Arbeits- und Forschungsberichte zur Sächsischen Bodendenkmalpflege, Beiheft 21), Dresden 2010, S. 27-35
Konstanze Jünger/Judith Schachtmann
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Das DFG-Projekt „Archäologie im politischen Diskurs“ (DFG-Rundgespräch: Erschließung von Akten- und Nachlassbeständen in den Altertumswissenschaften, 14.-15.3.2011, Berlin)
Judith Schachtmann/Thomas Widera
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Gegenwart in der Vergangenheit. Archäologie im politischen Diskurs am Beispiel von Ausgrabungen in Coschütz und Westsachsen. In: Egon Schallmayer (Hrsg.), Archäologie und Politik: Archäologische Ausgrabungen der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts im zeitgeschichtlichen Kontext. Internationale Tagung anlässlich „75 Jahre Ausgrabungen auf dem Glauberg“ 16.-17.Oktober 2008. (Fundberichte aus Hessen, Beiheft 7, Glauberg-Forschungen 1) Wiesbaden 2011, S. 257-270
Judith Schachtmann/Michael Strobel/Thomas Widera
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Das Wirken Walter Frenzels in den Jahren 1936 bis 1941 und seine Rolle bei der Verschleppung der Ethnographischen Sammlung Łódź. In: Regina Smolnik (Hrsg.), Umbruch 1945? Die prähistorische Archäologie in ihrem politischen und wissenschaftlichen Kontext. (Arbeits- und Forschungsberichte zur Sächsischen Bodendenkmalpflege, Beiheft 23), Dresden 2012
Judith Schachtmann
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Wissenschaft oder Mission? Die Aufbauarbeit des sächsischen Landesmuseums und des Landesamtes für Vorgeschichte im kulturpolitischen Umfeld der Nachkriegszeit. In: Regina Smolnik (Hrsg.), Umbruch 1945? Die prähistorische Archäologie in ihrem politischen und wissenschaftlichen Kontext. (Arbeits- und Forschungsberichte zur Sächsischen Bodendenkmalpflege, Beiheft 23), Dresden 2012
Thomas Widera