Geschlecht, Raum und Technik in der Fabrik: Die "rationelle" Gestaltung industrieller Arbeitsplätze in Deutschland, 1900-1970
Final Report Abstract
Das Projekt konnte zeigen, dass die Rationalisierung und die Humanisierung der Industriearbeit vom Beginn des 20. Jahrhunderts an in gegenseitiger Ergänzung den Kern des Projekts der ‚rationellen’ Gestaltung der Fabrik ausmachten. Im Gegensatz zu der vorherrschenden Forschungsposition ließ sich darlegen, dass die Humanisierung der Arbeit also keinen Gegenpol zur Rationalisierungsbewegung darstellte. Daran schließt ein etwas überraschender Befund an: Die übliche Periodisierung, die ein Ende der fordistischen Produktionsweise in der Mitte der 1970er Jahre postuliert, muss in ihrem umfassenden Anspruch in Frage gestellt werden. Die Kern dessen, was von der Forschung als post-fordistische Arbeitspraktiken identifiziert wird, lässt sich bereits als Element der Rationalisierungsdebatten und -praktiken der Zwischenkriegszeit erkennen. Formen des Selbstmanagements wurden bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Wissenschaft reflektiert und in der betrieblichen Praxis angewendet (und dort teilweise entwickelt). In diesem Sinne lässt sich das vermeintlich originär post-fordistische „unternehmerische Selbst“ als Teil des fordistischen Projektes verstehen. Bereits seit den 1920er Jahren lässt sich ein langfristiges Interesse an den Arbeiter/-innen als Humankapital (avant la lettre) ausmachen: Arbeiter/-innen wurden vermehrt als ein Potential betrachtet, das es auszubauen und sinnvoll in den Produktionsprozess zu integrieren galt. Das Konzept einer Stärkung der Selbstverantwortung zielte allerdings niemals auf die gesamte Belegschaft, sondern nahm nach Geschlecht und Qualifikation Differenzierungen vor. Bei unqualifizierten Arbeiterinnen blieb zumeist die Übertragung von Verantwortung aus, die Einbindung ihrer Subjektivität erfolgte stattdessen in der Regel in der Form eines Wandels von der externen Disziplinierung zur Internalisierung der Disziplin. In der Nachkriegszeit ermöglichte die Entstehung eines neuen Rationalisierungsproletariats, das sich aus Frauen und Migranten zusammensetze, dass den männlichen bundesdeutschen Facharbeitern vermehrt Freiräume des Selbstmanagements eingeräumt werden konnten. Über den gesamten Untersuchungszeitraum wurde die Subjektivität der Arbeitenden in Arbeitswissenschaften wie in den Betrieben sowohl als Störfaktor als auch als Potential betrachtet. Die ‚rationelle’ Gestaltung industrieller Arbeitsplätze zielte folglich auf beides: auf die Vermeidung subjektiver Störungen und auf die grundsätzlich unbegrenzte Nutzbarmachung subjektiver Potentiale.
Publications
- Der Faktor Mensch und das Management: Führungsstile und Machtbeziehungen im industriellen Betrieb des 20. Jahrhunderts, in: Neue Politische Literatur 2010, Bd. 55, H. 2, S. 233-254
Karsten Uhl
- Die Geschlechterordnung der Fabrik. Arbeitswissenschaftliche Entwürfe von Rationalisierung und Humanisierung 1900-1970, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, Bd. 21, 2010, H. 1, S. 93-117
Karsten Uhl
- Giving Scientific Management a ‘Human’ Face: The Engine Factory Deutz and a ‘German’ Path to Efficiency, 1910-1945, in: Labor History, Bd. 52, 2011, H. 4, S. 511-533
Karsten Uhl
- Vom Abort im Holzschuppen zur normierten Toilette. Betriebliche Sanitäranlagen und die Raumordnung der Fabrik in Deutschland 1870-1970, in: Blätter für Technikgeschichte, Bd. 73, 2011, S. 55-71
Karsten Uhl
- Arbeit – Körper – Rationalisierung. Neue Perspektiven auf den historischen Wandel industrieller Arbeitsplätze, in: Kontrollierte Arbeit – disziplinierte Körper? Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Industriearbeit im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Lars Bluma u. Karsten Uhl, Bielefeld: transcript 2012, S. 9-31
Karsten Uhl/Lars Bluma
- „Schafft Lebensraum in der Fabrik!“ Betriebliche Kantinen und Speiseräume im deutschen Rationalisierungsdiskurs 1880-1945, in: Kontrollierte Arbeit – disziplinierte Körper? Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Industriearbeit im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Lars Bluma u. Karsten Uhl, Bielefeld: transcript 2012, S. 361-395
Karsten Uhl