Mobilität und Migration in der Eisenzeit (4./3. Jh.v.Chr.). Archäologische und bioarchäometrische Ansätze zum Nachweis von Einheimischen und Zuwanderern
Final Report Abstract
In einem interdisziplinären Projekt ermöglichten archäologische und isotopische (87Sr/86Sr und δ18O) Analysen an Individuen aus den frühlatènezeitlichen Gräberfeldern von Nebringen (Deutschland), Münsingen-Rain (Schweiz), Monte Bibele (Italien) und den tschechischen Gräberfeldern von Radovesice I, Radovesice II und Kutná Hora Aussagen, ob tatsächlich Massenwanderungen für die Ausbreitung der Latènekultur in Kontinentaleuropa verantwortlich waren. Die Unklarheiten über die tatsächlichen Prozesse hinter der beobachteten Expansionen im 4. und 3. Jh. v. Chr. gehen auf antike Autoren zurück, die die Ausweitung des mitteleuropäischen Kernraums der Kelten nach Ost-, Süd- und Südosteuropa, der Bewegung großer Bevölkerungsgruppen zuschreiben. Unsere Studien dagegen belegen, dass die meisten der bisher von uns analysierten Individuen isotopisch entweder lokalen Ursprungs sind, oder aus der näheren Umgebung stammten, darunter auch das Gräberfeld vom Monte Bibele. Hier deuten die Sr-Isotopenverhältnisse für die einzelnen Individuen, die mit keltisch-etruskischem Mischinventar bestattet waren, eine Herkunft aus ganz unterschiedlichen geologischen Regionen an. Die Latène-Objekte wurden demzufolge keineswegs durch eine einheitliche Bevölkerungsgruppe mitgebracht. Die Individuen von den tschechischen Gräberfeldern bilden eine Ausnahme. Hier ist fast ein Viertel der untersuchten Individuen zugewandert. Eine lokale Herkunft schließt jedoch nicht aus, dass die Individuen regional mobil waren, da die Gräberfelder von Nebringen, Radovesice und Kutná Hora einen hohen Anteil von Individuen aufwiesen, bei denen die 87Sr/86Sr Werte der Kindheit und dem Jugendalter nicht deckungsgleich waren. Dies deutet darauf hin, dass diese Individuen während der Zeit der Zahnentwicklung ihren Wohnort gewechselt haben müssen. Unter ihnen gab es jedoch keine Individuen mit Sr-Isotopenverhältnissen, die nicht mit dem variablen, biologisch verfügbaren Strontium dieser Regionen übereinstimmten. Ursache hierfür muss nicht zwingend ein Wohnortswechsel gewesen sein, da sich die Wirtschaftsweise bzw. die Landnutzung dementsprechende Auswirkungen zeigen können. Es scheint auch, dass die Ausbreitung der Latènekultur nicht nur durch die Bewegung einzelner Individuen, sondern auch durch den Austausch von Objekten und Ideen stattgefunden hat. Die Wohnortwechsel beschränkten sich dabei auch nicht allein auf das keltische Expansionsgebiet, aber es scheint, dass die hier untersuchten Individuen vor allem innerhalb ihren heimischen Regionen hochmobil waren. Zusammenfassend werden veraltete Lehrmeinungen hinsichtlich der Behauptung von Massenwanderungen homogener keltischer Volksstämme widerlegt, die aus den Kerngebieten der Latènekultur in Expansionsgebiete ausgewandert sein sollen. Ganz sicher haben lokale Mobilität und überregionale Migration eine Rolle im Alltag der Kelten gespielt, aber allem Anschein nach fand dies nur in beschränktem Ausmaße statt.
Publications
- Latènezeit – Fürstengräber, Keltenwanderung und die ersten Städte. In: F. Sirocko (Hrsg.), Wetter, Klima, Menschheitsentwicklung. Von der Eiszeit bis ins 21. Jahrhundert (Darmstadt 2009)139-143
H. Nortmann / M. Schönfelder
- Kelten! Kelten? Keltische Spuren in Italien. Begleitbuch zur Ausstellung im Römisch-Germanischen Zentralmuseum 19 Mai bis 1. August 2010. Mosaiksteine 7 (Mainz 2010)
M. Schönfelder (Hrsg.)
- Keltische Söldner im Süden. In: M. Schönfelder (Hrsg.), Kelten! Kelten? Keltische Spuren in Italien. Begleitbuch zur Ausstellung im Römisch‐Germanischen Zentralmuseum 19. Mai bis 1. August 2010 (Mainz 2010) 28‐29
M. Hauschild
- Keltische Wanderungen nach Italien – Das Bild der antiken Sagen und Quellen. In: M. Schönfelder (Hrsg.), Kelten! Kelten? Keltische Spuren in Italien. Begleitbuch zur Ausstellung im Römisch‐Germanischen Zentralmuseum 19. Mai bis 1. August 2010 (Mainz 2010) 14‐15
M. Hauschild
- Neue Wege – Welche Antworten kann die Anthropologie bieten? In: M. Schönfelder (Hrsg.), Kelten! Kelten? Keltische Spuren in Italien. Begleitbuch zur Ausstellung im Römisch‐Germanischen Zentralmuseum 19. Mai bis 1. August 2010 (Mainz 2010) 42‐45
M. Scheeres / K. W. Alt
- “Celticised” or “Assimilated”? In Search of Foreign and Indigenous People at the Time of the Celtic Migrations. In: S. Berecki (Hrsg.), Iron Age Communities in the Carpathian Basin. Proceedings of the International Colloquium from Târgu Mureş, 9‐11 October 2009. Bibliotheca Musei Marisiensis, Seria Archaeologica II (Cluj‐Napoca 2010) 171‐180
M. Hauschild
- Im Dienste von Königen - Keltische Söldner In: Die Welt der Kelten. Zentren der Macht – Kostbarkeiten der Kunst. Begleitband zur Ausstellung des Landesmuseums Stuttgart vom 15. September 2012 bis 17. Februar 2013 (Ostfildern 2012) 269-270
M. Hauschild
- Quer durch Europa – Die Keltischen Wanderungen. In: Die Welt der Kelten. Zentren der Macht – Kostbarkeiten der Kunst. Begleitband zur Ausstellung des Landesmuseums Stuttgart vom 15. September 2012 bis 17. Februar 2013 (Ostfildern 2012) 257-263
M. Hauschild
- Evidence for „Celtic migrations“? Strontium isotope analysis at the early La Tène cemeteries (LT B) of Nebringen (Germany) and Monte Bibele (Italy). Journal of Archaeological Science 40, 2013, 3614-3625
M. Scheeres / C. Knipper / M. Hauschild / M. Schönfelder / W. Siebel / D. Vitali / Chr. F. E. Pare / K. W. Alt
- Nebringen, Münsingen und Monte Bibele – Zum archäologischen und bioarchäometrischen Nachweis von Mobilität im 4./3. Jahrhundert v. Chr. Archäologisches Korrespondenzblatt 43/3, 2013, 345-364
M. Hauschild / M. Schönfelder / M. Scheeres / C. Knipper / K. W. Alt / Chr. F. E. Pare