Die Einbeziehung volksdeutscher Umsiedlung in die nationalsozialistische Erbgesundheitspolitik" 1939-1945
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Rahmen des Forschungsprojektes wurden die Wechselwirkungen zwischen der NS-„Erbgesundheitspolitik“ auf der einen, und der Siedlungspolitik auf der anderen Seite untersucht. Im Mittelpunkt stand dabei die Umsiedlung der Volksdeutschen, infolge derer nahezu eine Million Menschen innerhalb Europas verschoben wurden. Alle diese Umsiedler unterlagen einem Erfassungs- und Selektionssystem, welches auf die Schaffung einer neuen „rassereinen“ und „erbgesunden“ Siedlergesellschaft zielte. „Unerwünschter Bevölkerungszuwachs“ sollte nicht zu dieser neuen Siedlergesellschaft, die die „neuen Ostgenbiete“ zu einem biologischen Bollwerk werden lassen sollten, gehören. Sie wurden systematisch „ausgesondert“. Der Maßnahmenkatalog war dabei umfangreich und blieb nicht auf „klassische“ erbgesundheitspolitische Maßnahmen beschränkt. Er umfasste eine Psychiatrisierung psychisch kranker Umsiedler, die Verweigerung der Einbürgerung, den Ausschluss von der Ansiedlung im verheißungsvollen Osten, und schließlich die Zwangssterilisation und die Einbeziehung in die NS-„Euthanasie“. Hier wirkte demnach eine erweiterte, spezifische Form der NS-Erbgesundheitspolitik, die durch die Verschmelzung mit siedlungs- und rassenpolitischen Prämissen eine besondere Ausprägung, und eine besonders starke Zukunftsorientierung erfuhr, und zwar auch im Hinblick auf die rassenhygienische Zukunft des gesamten deutschen Volkes. Das während der Umsiedlung installierte Erfassungs- und Selektionssystem wirkte nämlich über die Umsiedlungspolitik hinaus. Es zeigte, dass eine rassenhygienischrassenpolitische Neuordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse durchführbar war – eine Realisierung der rassenhygienischen Utopie in greifbare Nähe gerückt war. In diesem Sinne fungierte die Umsiedlung der Volksdeutschen als ein rassenhygienisches Experiment, dass zwar keinem elaborierten rassenhygienischen Forschungsplan entsprang, dessen Ergebnisse aber deswegen nicht weniger aussagekräftig und wirkungsmächtig waren. Die Um- und Ansiedlung der Volksdeutschen bildete den Erfahrungshorizont für ein noch vages, aber von Rassenhygienikern bereits angedachtes umfassendes gesellschaftssanitäres Projekt, in das auch die „reichsdeutsche“ Bevölkerung einbezogen werden sollte. Sie hatte demnach nicht nur im Kontext von Vertreibung und Massenmord eine katalysatorische Wirkung, sondern auch im Kontext des biopolitischen Programms des Nationalsozialismus, und muß somit als dem ideologischen Kernbereich des Nationalsozialismus zugehörig betrachtet werden. Die historische Bedeutung der Umsiedlungspolitik ist demnach wesentlich größer als bisher angenommen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- NS-Bevölkerungspolitik und Psychiatrie. Die Umfunktionierung der Heilanstalt Tiegenhof/Dziekanka zu einer „vorbildlichen Heilanstalt für Deutsche“ während der deutschen Besatzungszeit 1939-1945, in: Poznanskie towarzystwo przyjaciół Nauk (Hrsg.), Medycyna na usługach systemu eksterminacji ludności w Trzeciej Rzeszy i na terenach okupowanej Polski (Studia europaea gnesnensia, Bd. 5), Poznan/Gniezno 2011, S. 205-216
Maria Fiebrandt
- „…mit Krankentransporten und Krankenwagen ins Reich abgewandert“. Das Schicksal der Südtiroler Psychiatriepatienten im Rahmen der Umsiedlung 1939-1943, in: Elisabeth Dietrich-Daum u.a. (Hrsg.), Psychiatrische Landschaften. Die Psychiatrie und ihre Patientinnen und Patienten im historischen Raum Tirol seit 1830, Innsbruck 2011, S. 165-171
Maria Fiebrandt