Die Implementation neuer Steuerungsstrukturen im Schulwesen am Beispiel zentraler Abiturprüfungen. Eine Analyse der Effekte unter Berücksichtigung multipler Indikatoren
Final Report Abstract
Das Schulwesen in den deutschsprachigen Ländern ist gegenwärtig durch einen systematischen Umbau der administrativen Steuerungsmechanismen gekennzeichnet. Ein markantes Beispiel ist die Einführung zentraler Abiturprüfungen. Hier setzt die vorliegende Studie an: Am Beispiel der Bundesländer Bremen und Hessen, in denen zeitgleich zum Frühjahr 2007 zentrale Abiturprüfungen eingeführt wurden, untersucht sie die Auswirkungen, die ein Wechsel von einem dezentral zu einem zentral organisierten Prüfungssystem auf Schüler/innen, Lehrpersonen, die Schule und den Unterricht hat. In diesem großen Feldexperiment können damit das Erreichen intendierter Ziele überprüft und nicht intendierte Konsequenzen festgehalten werden. Die Studie fand an der Universität Zürich (Prof. Dr. Katharina Maag Merki) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt am Main (Prof. Dr. Eckhard Klieme) statt. Sie wurde in insgesamt 36 Gymnasien mit gymnasialer Oberstufe in den beiden Bundesländern Bremen und Hessen durchgeführt, wobei in Bremen alle Gymnasien, in Hessen eine repräsentative Auswahl an Gymnasien berücksichtigt wurden. In den Schulen nahmen alle Lehrpersonen sowie die Schüler/-innen von vier ausgewählten Kursen (je ein Mathematik Grund- und Leistungskurs, je ein Englisch Grund- und Leistungskurs) teil. Insgesamt wurden somit pro Jahr ca. 1500 Lehrpersonen sowie ca. 1900 Schüler/-innen befragt. Bei den Schüler/-innen und Lehrkräften wurden pro Jahr jeweils vor und nach dem Abitur standardisierte Befragungen und Leistungstests (nur Schüler/-innen) durchgeführt sowie die Noten der Schüler/-innen im Abitur und die Halbjahresnoten der gymnasialen Oberstufe (nur Bremen) erfasst. Die Ergebnisse zeigen, dass mit der Einführung zentraler Abiturprüfungen keine umfassende Umwälzung von Schule, Unterricht und Lernen einhergeht. Von einem generellen Effekt zentraler Abiturprüfungen auf das Lernen der Schüler/-innen und das Handeln der Lehrpersonen kann nicht gesprochen werden. Vielmehr zeigen sich fach- und kursspezifische Effekte, die eher gering sind und in Abhängigkeit des Bundeslandes variieren. In vielen Bereichen konnten zudem keine Effekte identifiziert werden. Wenn es Veränderungen gab, dann scheinen sie in der Mehrzahl eher positiv zu sein. Es lassen sich aber auch weniger produktive Entwicklungen identifizieren, die in der Zukunft besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Die Ergebnisse zeigen, dass Englisch Leistungskurse sowie die Mathematik Grundkurse zu den „Zentralabitur sensiblen“ Fachkursen gehören. Es ergeben sich positive Veränderungen im Leistungsniveau, im selbstregulierten Lernen, eine stärkere Standardisierung der Beurteilung und eine Verbesserung des Unterrichts. In den anderen Fächern zeigen sich nur punktuelle oder gar keine Veränderungen. Mit der Einführung zentraler Abiturprüfungen erfolgte eine starke Fokussierung auf die Abiturschwerpunktthemen im Unterricht. Zudem ist auch bei Abituraufgaben in einzelnen Fächern eine zunehmende Engführung der Inhalte zu beobachten. Schüler/-innen in Kursen, die nach wie vor dezentral geprüft werden (z.B. Leistungskurs Geschichte in Bremen), nehmen zudem seltener eine gute Abiturvorbereitung wahr und sind weniger motiviert als die Schüler/-innen in 2007 in den gleichen Fächern, als noch keine Kurse zentral geprüft wurden. Eine deutliche Mehrheit der Lehrpersonen hat sich mit dem Zentralabitur auseinandergesetzt. Diese Auseinandersetzung lässt allerdings in beiden Bundesländern über die drei untersuchten Jahre nach. Sie hängt im Wesentlichen mit individuellen Merkmalen der Lehrperson zusammen, eine institutionelle Verankerung in der Schule ist wenig sichtbar. Mit der Einführung des Zentralabiturs steigt kurzfristig die Unsicherheit gegenüber den Abiturprüfungen (bei Lehrpersonen und Schüler/-innen) wie auch der Leistungsdruck bei den Lehrpersonen. Zudem sind Lehrpersonen mit mehr Erfahrung mit zentralen Abiturprüfungen weniger mit ihrer Arbeit zufrieden als Lehrpersonen mit geringerer Erfahrung und haben weniger das Gefühl, Herausforderungen meistern zu können.
Publications
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