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Die Dokumentation historischer Fakten in erstinstanzlichen Urteilen des Internationalen Strafgerichtshofs - Eine verfassungsrechtliche Theorie internationaler Strafverfahren

Antragsteller Dr. Nicolai von Maltitz
Fachliche Zuordnung Strafrecht
Förderung Förderung seit 2024
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 550581412
 
Dass strafgerichtliche Urteile ein Bild der Vergangenheit zeichnen, ist schlicht unvermeidbar. Wenn ein tatsächliches Verbrechensgeschehen als Grundlage der Bestimmung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit festgestellt wird, liegt darin zweifellos auch die Darstellung eines historischen Zusammenhangs. Ob Strafgerichte jedoch auch rein historische Fakten dokumentieren dürfen, die für die Beurteilung der Schuld des Angeklagten nicht erforderlich sind, wird spätestens seit Hannah Arendts kritischer Intervention zum Verfahren gegen Adolf Eichmann in Jerusalem kontrovers diskutiert. Gerade das junge Rechtsgebiet des Völkerstrafrechts bietet Anlass, sich dem Verhältnis von Strafurteil und Geschichtsschreibung erneut grundlegend zuzuwenden. So werden völkerstrafrechtliche Taten stets in geschichtlichen Zusammenhängen sogenannter „Situationen" begangen, die als „historisch" bezeichnet werden. Internationale Strafkammern sehen sich daher nicht selten dazu berufen, ihre Tatsachenfeststellungen in die Darstellung größerer historischer Geschehensabläufe einzubetten. Die vorliegende Arbeit sucht die Antwort auf das normative Verhältnis von Geschichtsschreibung und Völkerstrafrecht in erstinstanzlichen Urteilen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) nicht in allgemeinen rechtsphilosophischen Erwägungen, sondern im anwendbaren Recht des IStGH selbst. Ausgangspunkt hierfür ist die Feststellung, dass jede Dokumentation rein historischer Fakten eine unvermeidbare Verlängerung des dem Urteil vorangehenden Strafprozesses bedingt. Diese Verlängerung intensiviert und konsolidiert den Eingriff in die individuelle Freiheit, den jede (selektive) Verdächtigung durch den IStGH unweigerlich mit sich bringt. Die Frage nach der Rechtfertigbarkeit dieser Eingriffsvertiefung erfordert grundlegende Reflexionen zum Schutz und zur Einschränkbarkeit individueller Freiheit durch den IStGH. In der Garantie der Wahrung der international anerkannten Menschenrechte in Art. 21(3) des Römischen Statuts erkennt die vorliegende Arbeit „Verfassungsstrukturen", auf deren Grundlage sie eine eigene Prozesstheorie des IStGH entwickelt, die schlussendlich auch die normative Frage nach der Dokumentation historischer Fakten beantwortet. Im Ergebnis stimmt die vorliegende Arbeit weitgehend mit Hannah Arendts Unvereinbarkeitsthese überein, sieht jedoch eine wesentliche Modifikation vor. So stehen die „Verfassungsstrukturen" des IStGH der Dokumentation rein historischer Fakten dann nicht entgegen, wenn diese ausschließlich dem Schutz der individuellen Freiheit des Verdächtigten dient. Dies ist der Fall, wenn die Dokumentation historischer Fakten gewährleistet, dass ein durch den IStGH bereits Verurteilter oder Freigesprochener nicht ein zweites Mal bezüglich (anderer) etwaiger Verbrechen im selben historischen Kontext einer „Situation" zur Anklage vor dem IStGH selektiert wird.
DFG-Verfahren Publikationsbeihilfen
 
 

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