Bioethische Diskurse in Südkorea: Normative Menschenbilder im Spannungsfeld von Traditionen, Religionen und biomedizinischen Eingriffsmöglichkeiten an den Grenzen des menschlichen Lebens
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Charakteristisch für den südkoreanischen bioethischen Diskurs ist seine Funktion als Katalysator einer kulturellen Transformation, die durch die neue bio- und gentechnologische Entwicklung im In- und Ausland herausgefordert ist. Der kulturelle Wandlungsprozess impliziert einen weitreichenden gesellschaftlichen Strukturwandel, nachdem die negativen Folgen einer ungleichzeitigen Entwicklung von raschem wissenschaftlich-technologischem Fortschritt erkannt worden sind. In diesem Sinne hat sich die Bioethik in Südkorea bereits institutionalisiert, deren Aufgabe darin besteht, insbesondere die bio- und gentechnologische Entwicklung und deren soziale und ethische Implikationen kritisch zu reflektieren und deren Missbrauch zu verhindern. Aufgrund des hoch entwickelten biowissenschaftlichen und gentechnologischen Forschungsstandes und des modernen Gesundheitssystems sind die aktuellen Themen und die Argumentationslogik in Südkorea nahezu deckungsgleich mit denen etwa in den USA und Deutschland. Ein signifikanter Unterschied besteht jedoch im Verlauf und der Intensität des Diskurses in Südkorea aufgrund der unterschiedlichen Ausgangslage: Im Unterschied etwa zu Deutschland, wo die biomedizinische Forschung durch das Embryonen Schutzgesetz streng kontrolliert stattfindet und - ähnlich den anderen westlichen Ländern und Japan - auf eine Liberalisierung der Gesetzeslage hinarbeitet, verläuft die Entwicklung in Südkorea in eine umgekehrte Richtung. Dort hatte die bio- und gentechnologische Entwicklung bereits einen fortgeschrittenen Stand erreicht, als Ende der 1990er Jahre die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung angesichts des wachsenden Problembewusstseins für die ethischen Implikationen der Bio- und Gentechnologie erkannt und ein Gesetzgebungsverfahren eingeleitet wurde. Dieser Hintergrund hat die konfligierende Diskursformation für und wider die Klonforschung geprägt. Denn die Gesetzesinitiativen wurden von den Wissenschaftlern als ungerechtfertigte Einschränkung ihrer Forschungsarbeit verstanden, die vornehmlich humanen Zwecken diene. Für ihre Kritiker war jedoch von vorn herein ein absolutes Verbot des Klonens notwendig, vor allem aus religiösen Gründen, aber auch wegen unberechenbarer ethischer Probleme. Bei dieser Polarisierung geraten differenzierte Argumente ins Hintertreffen. Eine weitere Charakteristik des südkoreanischen Diskurses ist die gesellschaftlich legitimierte Priorität der Nationalökonomie in der Biopolitik der Regierung, die seit Anfang 1980 die Biotechnologie als eine der Schlüsseltechnologien der neuen Epoche mit sukzessiv erhöhten Öffentlichen Mitteln gefördert hat. Die Tendenz ist allerdings auch auf internationaler Ebene zu beobachten, was den Konkurrenzkampf der wissenschaftlichen Forschung verschärft und dadurch eine sachlich begründete inner- wie interkulturelle ethische Reflexion über die ethischen Implikationen der neuen biowissenschaftlichen Erkenntnisse und biomedizinischen Möglichkeiten erschwert. Der südkoreanische Diskurs zeigt indessen, dass die Perspektiven einer kulturübergreifenden Bioethik sich zunächst aus der Logik der globalen respektive transkulturellen wissenschaftlich-technologischen Entwicklung ergeben. Die Anerkennung, dass die aus dieser Entwicklung resultierenden ethischen Probleme prinzipiell jede Gesellschaft betreffen (wenn auch die Intensität der Problemlage je nach verschiedenen kulturellen Prägungen und gesellschaftspolitischen Bedingungen unterschiedlich erscheint), ist die nächste Voraussetzung einer kulturübergreifenden Bioethik. Die Bereitschaft zu einem offenen Diskurs in der Überwindung der kulturellen Vorurteile und historischen Ressentiments ist schließlich die Grundvoraussetzung einer kulturübergreifenden Bioethik.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Das koreanische ELSI-Programm: Das Humangenomprojekt und die Demokratisierung des bioethischen Diskurses. In: Patrick Köllner (Hg.): Korea 2004. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Hamburg 2004. S. 113-128
Joung, Phillan
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Ethische Probleme der selektiven Abtreibung: Die Diskussion in Südkorea. Bochum 2004: Zentrum für Medizinische Ethik. Medizinische Materialien. Heft 147
Joung, Phillan
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Forscher in der Rolle der Schurken. Das südkoreanische Klonexperiment - ein Lehrstück bioethischen Debattierens. In: Neuer Zürcher Zeitung 73, 27./28.3.2004, S. 77 (auch in: NZZ Focus: Stammzellen, Probleme und Potenziale der umstrittenen Hoffnungsträger. Zürich 2004. S. 74-75)
Joung, Phillan
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Eispenden von Mitarbeiterinnen verwendet. Südkoreas Klon-Pionier Hwang räumt Fehler ein. In: Neue Zürcher Zeitung, 25.11.2005
Joung, Phillan
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Kampf Hwangs um seine Ehrenrettung. In: Neue Zürcher Zeitung, 17.12.2005
Joung, Phillan
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Bioethics from the Perspective of Universalisation. In: Heiner Roetz (Ed): Cross-Cultural Issues in Bioethics. The Example of Human Cloning. Rodopi: Amsterdam/New York, NY 2006: 341-361
Frey, Christofer
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Ethische Probleme der Leihmutterschaft in Korea. Alter Brauch und neue Technik. In: Thomas Eich/Thomas Sören Hoffmann (Hg.): Kulturübergreifende Bioethik. Zwischen globaler Herausforderung und regionaler Perspektive. Verlag Karl Alber: Freiburg/München 2006. S. 31-56
Joung, Phillan
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The Cloning Debate in South Korea. In: Heiner Roetz (Ed): Cross-Cultural Issues in Bioethics. The Example of Human Cloning. Rodopi: Amsterdam/New York, NY 2006: 155 - 178
Eggert, Marion/ Joung, Phillan
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Grenzen der Verfügbarkeit über den menschlichen Körper: Das Kommerzialisierungsverbot in der Transplantationsmedizin Südkoreas. In: Jochen Taupitz (Hg.): Kommerzialisierung des menschlichen Körpers. Springer-Verlag: Berlin/ Heidelberg/ New York 2007. S. 315-323
Joung, Phillan