Ästhetik und Artikulation in der musikalischen Repräsentation des indigenen Nordamerika
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das vorliegende Datenmaterial erlaubt, die indigene musikalische Praxis auf lokaler Ebene im Untersuchungsgebiet und anhand von ausgewählten Fallbeispielen auf nationaler Ebene (ein Begriff, der in diesem Arbeitsbericht noch prophylaktisch gebraucht wird und dem Duktus der Musiker folgt) einander gegenüberzustellen und vergleichend zu untersuchen. Dabei zeigt sich, dass die Musikausübung der indigenen Moderne in unterschiedlichen Sphären erfolgt. Auf den Reservationen wird tradierte Musik weniger als Vehikel zur Artikulation verstanden, sondern vielmehr als Medium, das zum Fortbestand der tradierten Kultur beiträgt - ungeachtet des offenkundigen Wandels von diesem Genrekomplex hin zur Kommerzialität. Die populäre Musik auf Reservationen, die mindestens seit den 1930er Jahren weitgehend auf dem Nachspielen nicht-indigener Kompositionen beruht, ist augenscheinlich im Schwinden. An ihre Stelle sind Bands getreten, die sich mit eigenen Kompositionen als „independent artists" auf nationaler Ebene etablieren möchten und wesentlich seltener als die Musiker früherer Zeiten in der Umgebung ihrer Wohnorte konzertieren. Im Repertoire solcher Gruppen befinden sich ebenso wie bei den bereits auf nationaler Ebene etablierten Künstlern eine nicht unerhebliche Anzahl von Kompositionen, die teils musikalisch, teils durch die Liedinhalte auf einen indigenen Kontext und/oder die Lebensumstände der indigenen Minorität in Nordamerika verweisen und zwar in einer Komplexität und Vielfalt, die sich kaum unter tribalspezifischen Rastern fassen lässt. In diesem Sinne ist die musikalische Praxis der Gegenwart als eine - auch an nicht-indigene Rezipienten gerichtete - innovative Form indigener Artikulation und Repräsentation zu verstehen. Das Forschungsprojekt untersucht dabei aus typologischer Sicht, mit welchen Formeln dies geschieht, welche Kodes und Symbole benutzt werden und inwieweit sich deren Topographie im Laufe der Zeit (von ca. 1970 bis 2008) verändert hat, da in diesem Zusammenhang durch Musik indigene Identitätsinhalte, Blickwinkel und damit eng verbundene Auffassungen zum Anspruch auf kulturelle Eigenständigkeit und Selbstbestimmung explizit und popularisiert werden. Die Untersuchungen veranschaulichen, dass die tradierten und zeitgenössischen Genres nicht als getrennte, sondern als komplementäre Einheiten zu betrachten sind, die zu unterschiedlichen Anlässen intoniert und kontextualisiert werden. Vor diesem Hintergrund unterstreicht Musik sowohl die kulturelle Kontinuität als auch den gesellschaftlichen Wandel. Das Forschungsprojekt ist in der diskursiven Ethnographie verankert und beantwortet Fragen zu dem immer wieder neu ausgehandelten Bereich musikalischer Ästhetik und Artikulation.