Das Wirkungsgefüge von `Raum` und `Geschlecht` am Beispiel Prostitution
Final Report Abstract
Mit den Methoden der Ethnographie, Dokumentenanalyse, Kartographie und des Interviews wurde die Frage bearbeitet: Wie werden im Feld der Prostitution räumliche (An)Ordnungen etabliert, die wechselwirkend spezifische Geschlechterbeziehungen (re)produzieren? Als zentrales Ergebnis des Forschungsprojektes "Das Wirkungsgefüge von „Raum“ und „Geschlecht“ am Beispiel Prostitution" an der TU Darmstadt stellte sich heraus, dass sich für Frankfurt/M. eine bislang kaum beachtete räumliche Verlagerung der Handlungskontexte der Sexarbeit beobachten lässt. Im Zeitraum von 1960 bis 1990 lässt sich eine sukzessive Entwicklung beobachten, die wir mit dem Begriff der Verhäuslichung benennen wollen. Benannt wird damit ein „Verschwinden“ der Sexarbeiterinnen aus dem Straßenbild, das mit einer zunehmenden Organisation des Gewerbes in geschlossenen Häusem einhergeht. Durch die Perspektive auf das Wirkungsgefüge von Raum und Geschlecht konnten (oft unbewusste) soziale Prozesse verdeutlicht werden, in denen über raumbezogene Regularien und symbolische Aufladungen eine vergeschlechtlichte und vergeschlechtlichende Praxis etabliert wird. Die heute im Sexdienstleistungsgewerbe in Frankfurt am Main in spezifischer Weise herausgebildeten Raumstrukturen (insbesondere in der Bordellprostitution) konnten dabei exemplarisch als Herrschaftsinstrumente sichtbar gemacht werden,. die einer Liberalisierung der Dienstleistung Prostitution und damit auch z.B. einer Umsetzung des seit dem Jahr 2002 in Deutschland geltenden Prostitutionsgesetzes (ProstG) deutlich entgegenstehen. Eine Professionalisierung als ein anerkanntes Gewerbe wird allein dadurch beschränkt, dass die Gewerbetreibenden in wenigen städtischen Arealen „kaserniert“ werden. Ferner stabilisieren die hier aufgegriffenen räumlichen Strukturen der Prostitution in ihrer Frauen „verhäuslichenden“ Wirkung aber auch eine tradierte und heute vielfach kritisierte Geschlechterordnung und sie wirken damit einer Egalisierung der Geschlechterverhältnisse deutlich entgegen. Die im Bahnhofsviertel konzentrierten Räume der Prostitution werden vergeschlechtlicht und emotionalisiert. In einer modernen Gesellschaft, die Hygiene zu ihrer Selbstbestimmung nutzt, wird Prostitution im Lichte von Schmutz zum räumlich wie symbolisch ausgelagerten Anderen. Der geringere soziale Status von Frauen allgemein und von Prostituierten im Besonderen lässt Sexarbeiterinnen zur Idealgestalt im Verschmutzungsdiskurs werden. Gleichzeitig findet eine negative emotionale Aufladung der Räume der Prostitution statt. Erstens wird das Bahnhofsviertel diffus als gefährlich und verunsichernd erlebt, zweitens wird die prostitutive Sexualität als angeblich frei von positiven Gefühlen wie Liebe konsterniert. Durch die einerseits negative Besetzung des Raums bei gleichzeitiger Leugnung vorhandener positiver Gefühle in der Sexualität wird jeder Versuch, Prostitution als normaler Bereich modernen Lebens zu etablieren konterkariert. Die mit dem Prostitutionsgeschehen in vielfacher Weise verknüpften Brüche traditioneller Weiblichkeits- und Männlichkeitsarrangements werden durch die Ausgrenzung des Feldes aus dem städtischen „Normalalltag“ in der Regel allenfalls für Akteure im Feld selbst sichtbar, für Außenstehende bleiben sie weitgehend verborgen. Das prostitutive Geschehen wird, wie in der Forschung aufgezeigt werden konnte, über räumliche Ordnungsprinzipien von rein-unrein bzw. sauber-dreckig» über eine Aufladung der prostitutiven Sexualität mit negativen Gefühlen bei gleichzeitigem Ausschluss positiver Gefühle und auch über eine negative emotionale Aufladung der vom Prostitutionsgeschehen bestimmten (Stadt-)Räume immer wieder als eine ,Welt des Anderen' bestätigt und in abwertender Weise vom städtischen »Normalalltag' abgegrenzt. Eine aktive Auseinandersetzung mit der Prostitution wird so verhindert bzw. durch die Notwendigkeit der "Grenzüberschreitung“ und hiermit verbundene bzw. antizipierte negative Konsequenzen erschwert.
Publications
- "Eine umfangreiche Konzeption, die Dirnen von den Straßen zu holen" - Zur Verhäuslichung der Prostitution in Frankfurt/Main. In: Sabine Grenz; Martin Lücke (Hg.) 2006: Verhandlungen im Zwielicht. Momente der Prostitution in Geschichte und Gegenwart. Bielefeld 2006
Low, Martina; Ruhne, Renate; unter Mitarbeit von Christiane Howe und Regine Henn
- Boulevard und Sperrbezirk - Urbane Ideale, Prostitution und der Kampf um den öffentlichen Raum der Stadt. In: Sozialwissenschaften und Berufspraxis (hrsg. v. Berufsverband Deutscher Soziologinnen und Soziologen e.V.), 29. Jg., Heft 2, 2006: 192-207.
Ruhne, Renate
- Bückfange: Räumlich-geschlechtliche Inszenierungen am Beispiel der Prostitution. IN: H. Berking (Hg.), Die Macht des Lokalen in einer Welt ohne Grenzen. Campus, Frankfurt, 2006, S.181-198. In englischer Übersetzung erschienen: Low, Martina: Eye-catchers. Staging the sociosexual: the example of prostitution. IN: Lars Frers; Lars Maier (Hg.). Encountering Urban Places - Visual and Material Performances in the City. Aldershot/UK: Ashgate. 2007, S. 47-62.
Low, Martina
- Prostitution - Power Relations between Space and Gender. IN: H. Berking u.a. (ed.), Negotiating Urban Conflicts, Bielefeld: transcript. 2006, p. 139-152.
Low, Martina; Ruhne, Renate
- Körper unter Kontrolle. Prostitution als soziales Problem der Geschlechterordnung. Verhandlungsband zum 33. Kongress der Deutschen Gesellschaft ftir Soziologie. Frankfurt am Main 2007.
Ruhne, Renate
- Vom Teddybär zum ersten Sex. Reflexionen zum Verhältnis von Bildung und Sexualität. IN: Cathleen Grunert/Hans-Jürgen von Wensierski (Hg.): Jugend und Bildung. Modemisierungsprozesse und Strukturwandel von Erziehung von Bildung im 21. Jahrhundert. Verlag Barbara Budrich. Opiaden & Farmington Hills, 2007, S. 197-212.
Low, Martina
- Wenn Sex zum Image wird. Über die Leistungsfähigkeit vergeschlechtlichter Großstadtbilder. IN: Dieter Schott/Michael Toyka-Seid (Hg.): Die europäische Stadt und ihre Umwelt. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2008 S. 193-206.
Low, Martina