Die Feuersteinartefakte der mesolithisch-neolithischen Moorfundstelle Friesack 4, Lkr. Havelland (Land Brandenburg) - Stratigraphie, Formen, Technologie, Vergleich, Gebrauchsanalyse
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Grundlage jeder Untersuchung mit dem Ziel einer Rekonstruktion historischer Vorgänge ist eine möglichst valide und feine Chronologie. Eine relative Chronologie bildet dabei das minimale Raster, auf das sich eine Diskussion von lokalen Handlungsabläufen und regionalen Entwicklungen beziehen kann. Ist diese Chronologie durch absolute Daten abgesichert und präzisiert, so kann man einer Geschichte um Vieles näher kommen. Der Fundplatz Friesack 4 bietet in diesem Sinne mit seiner stratigraphischen Komplexität, seinen guten Erhaltungsbedingungen und der umfangreichen Grabungen für das Mesolithikum in Deutschland – ja in ganz Europa - eine außergewöhnlich günstige Ausgangslage. Nirgendwo sonst ist bisher ein mittelsteinzeitlicher Platz mit einer solch langen Nutzungsdauer und mit so viel Fundmaterial im Rahmen einer wissenschaftlichen Ausgrabung aufgedeckt worden. Diversität in Kontinuität – so kann man insgesamt die Entwicklung der mesolithischen Feuersteininventare in Friesack 4 beschreiben. Im Laufe der Zeit sind sowohl starke Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede im Detail zu erkennen. Die technischen Ähnlichkeiten sind vermutlich größtenteils auf das geringformatige Rohmaterial zurückzuführen. Die Unterschiede beruhen auf überregional wirksamen kulturellen Entwicklungen, aber auch auf dem ökologischen Wandel im Verlauf der Mittelsteinzeit. Dieser wirkt sich - aus der Perspektive der Feuersteinartefakte gesehen - in den Veränderungen beim Nutzungsverhalten an der Siedlungsstelle aus. Die unterschiedliche Intensität von Tätigkeiten wie Produktion von Steinartefakten, Herstellen und Reparieren von Jagdwaffen, Verarbeitung von Beute, Wohnaktivitäten und die mehr oder weniger starke Nutzung von Feuer sind im Steinmaterial erkennbar. Insgesamt aber scheinen sich die mesolithischen Nutzer des Platzes im wesentlichen der Jagd und den dabei anfallenden Arbeiten gewidmet zu haben und zumindest zeitweise zwar häufig, aber eher kurzfristig vor Ort gewesen zu sein. Die sich bereits nach Auswertung der Mikrolithen andeutenden regionalen Traditionsstränge und die Intensität der sozialen Kontakte mesolithischer Bevölkerungen zwischen Südskandinavien, Polen und Süddeutschland werden am sonstigen lithischen Fundmaterial anhand von schlagtechnischen Traditionen und von Untersuchungen hinsichtlich der funktionalen Variabilität von Fundstellen derzeit noch weiter herausgearbeitet. Dies gestaltet sich langwierig und kompliziert, da nur wenige Publikationen direkt verwendbare Daten liefern. Die vergleichenden Arbeiten hierzu dauern derzeit noch an und sollen für die Publikation noch besonders aufbereitet werden. Es zeigt sich aber, dass sich in Mittel- und Nordeuropa nach einer Zeit stärkerer Gemeinsamkeiten während des Präboreals die mesolithische Welt seit dem Boreal stetig differenziert. Auch wenn gemeinsame Trends wie die Hinwendung zunächst zu Dreieckmikrolithen und dann zu langschmalen Mikrolithformen erkennbar sind, so können auch regionale Eigenheiten in Stil und Technik sowie im zeitlichen Auftreten bestimmter Eigenheiten konstatiert werden. Maglemose in Südskandinavien, in Norddeutschland, Friesack in Brandenburg und das Beuronien in Südwestdeutschland sind voneinander vor allem durch regionalspezifische Mikrolithformen und deren Häufigkeiten, aber auch die angewendeten Schlagtechniken und Abbaumethoden bei der Klingenherstellung unterscheidbar. Die größten Unterschiede zwischen den Regionen scheinen sich aber während des Spätmesolithikums anzudeuten, das in Friesack 4 noch nicht mit breiten Trapezen aus Makroklingen vertreten ist. Nach der Vorstellung von Klaus Bokelmann (1999) wären diese auch im nördlichen Deutschland erst nach etwa 6200 calBC zu erwarten. Hier ist aber noch enormer Forschungsbedarf und es gibt in Norddeutschland auch Hinweise auf ein älteres "Trapezmesolithikum". Besonders spannend könnten gerade auch in diesem Zeithorizont die Entwicklungen im östlichen Europa gewesen sein, die vermutlich starke Auswirkungen auf den baltischen und damit auch auf den südskandinavischen Raum gehabt haben, ohne dabei das westliche Norddeutschland direkt berührt zu haben.