Simulationen der Statik und Dynamik von Spingläsern
Final Report Abstract
Spingläser, strukturelle Gläser und auch viele biologische Makromoleküle sind durch stark zerklüftete Landschaften der Freien Energie mit vielen Tälern und Barrieren charakterisiert, die Computersimulationen stark erschweren. Ziel dieses Vorhabens war deshalb zunächst die Entwicklung eines Monte-Carlo-Algorithmus, der diese komplexen Landschaften auch bei tiefen Temperaturen effizient bestimmt. Unser PaMuQ-Algorithmus, der multikanonische (MuQ) mit "Parallel Tempering" (PT) Methoden kombiniert, kommt diesem Ziel schon sehr nahe. Dafür mußte allerdings zuerst ein geeignetes Protokoll für den PT-Teil entwickelt werden. Speziell beim kurzreichweitigen 3D Edwards-Anderson Ising (EAI) Spinglasmodell hängt aber das Zeitverhalten der Simulationen und damit die bei gegebenen Computerbudget erreichbare statistische Genauigkeit immer noch extrem stark von den Unordnungsrealisierungen ab - für größere Systeme wurden Schwankungen über mehr als vier Größenordnungen beobachtet. Dieses Problem könnte auf "versteckte" Barrieren hindeuten, die in einfacherer Form auch schon beim ferromagnetischen 2D Ising-Modell auftreten, wofür es noch detaillierte analytische Vorhersagen gibt. Wir haben deshalb zunächst für diesen einfacheren Fall die mit der Tropfenkondensation assoziierte Barriere eingehend studiert. Hier finden wir ein von mikroskopischen Details weitgehend unabhängiges "universelles" Verhalten, das mit den analytischen Vorhersagen für das Quadratgitter mit Nächster-Nachbar-Wechselwirkung gut übereinstimmt. Analysen unseres umfangreichen Datenmaterials für das 3D EAI-Modell (ca. 3 TByte, 100 CPU-Jahre) zeigen, dass die Barrierenverteilungen auch tiefer in der Spinglasphase nicht mit den Vorhersagen der Replikatheorie verträglich sind. Für das langreichweitige ("Mean-Field"-artige) Sherrington-Kirkpatrick (SK) Spinglasmodell konnten verschiedene theoretische Vorhersagen durch unsere Simulationen bestätigt werden, was insbesondere zeigt, dass die ursprünglich für das EAI-Modell entwickelten Messverfahren für die Barrierenverteilung korrekt sind. Für die Verteilung der Barrieren finden wir im SK-Modell langsam abfallende Flanken, die durch Extremwertstatistik bzw. Frechet-Kurven beschrieben werden können. Dies hat die Untersuchung einer scheinbar unabhängigen Fragestellung motiviert, nämlich die Verteilung von Torerfolgen in Fußballspielen. Doch auch hier haben die empirischen Verteilungen langsam abfallende Flanken, die mit Extremwertstatistik gut beschrieben werden können. Abweichungen zur Gaußschen Statistik können aber auch durch einen modifizierten Bernoulliprozess, ein Poissonmodell mit Selbstverstärkungskomponente ("Self Affirmation"), mikroskopisch erklärt werden. Unser kurz vor der Fußballweltnieisterschaft 2006 in Deutschland erschienenes Preprint hat ein starkes Medieninteresse hervorgerufen, das neben zahllosen Zeitungsberichten (auch überregionale wie "Süddeutsche" oder "Frankfurter Allgemeine" und ausländische wie "Nature") zu mehreren Radiointerviews (u.a. "Deutschlandfunk", "BBC England") und einen etwa 15minütigen Fernsehbericht des MDRs geführt hat. Im "Jahr der Mathematik" beim "Wissenschaftssommer 2008" in Leipzig haben wir dieses Projekt (während der Fußball-EM) der breiten Öffentlichkeit vorgestellt, wobei die Besucher an Tischkickerspielen selbst aktiv Spielergebnisse beisteuern konnten, die wir dann gleich online analysiert haben.
Publications
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Free-energy barriers in the Sherrington-Kirkpatrick model, Europhys. Lett. 74 (2006) 195-201
E. Bittner and W. Janke
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Interface tension of the square lattice Ising model with next-nearest-neighhour interactions, Europhys. Lett. 78 (2007) 16004-1-6
A. Nußbaumer, E. Bittner, and W. Janke
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Make life simple: Using the full power of the parallel tempering algorithm, Phys. Rev. Lett. 101 (2008) 130603-1-4
E. Bittner, A. Nußbaumer, and W. Janke
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Monte Carlo study of the droplet formation-dissolution transition on different two-dimensional lattices, Phys. Rev. E 77 (2008) 041109-1-13
A. Nußbaumer, E. Bittner, and W. Janke