Die Verteidigung kultureller Identität als Folge wahrgenommener Kontrolldeprivation: Eine Reinterpretation von Effekten der Sterblichkeitssalienz
Final Report Abstract
Menschen bedürfen der Wahrnehmung, Kontrolle über ihre Umwelt ausüben zu können. Verschiedene Realitäten des Lebens, wie beispielsweise das Faktum menschlicher Sterblichkeit, können generalisierte Wahrnehmungen persönlicher Kontrolle jedoch erschüttern. Die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen kann dazu beitragen, Kontrollwahrnehmungen aufrecht zu erhalten oder diese bei Bedrohung generalisierter Kontrollgefühle wiederherzustellen. Im dargestellten Forschungsprojekt ging es darum, diesen Ansatz empirisch zu testen. Ausgangspunkt waren Befunde, die zeigen, dass die Erinnerung an den eigenen Tod kollektiv-defensive Verhaltensweisen verstärkt, wie beispielsweise die Abwertung Andersartiger oder die Identifikation mit eigenen sozialen Gruppen. Diese Befunde werden von der Terror-Management-Theorie (TMT; z.B. Solomon et al., 2004) als Konsequenz eines grundlegenden Selbsterhaltungsmotivs interpretiert. Demnach führt die Antizipation des eigenen Todes zu einem Potenzial paralysierenden existentiellen Schreckens, welcher durch die Validierung und Verteidigung kultureller Weltsichten sowie des individuellen Selbstwerts unterdrückt werden kann. Die Erklärung der Effekte der Sterblichkeitssalienz auf die Stützung und Verteidigung kultureller Eigengruppen und deren Normen stand im Mittelpunkt des dargestellten Forschungsprojekts. Hierzu wurden konkurrierende Annahmen aus der TMT und dem Ansatz gruppenbasierter Kontrollrestauration in experimentellen Studien getestet. Im Verlauf der ersten zwei Projektjahre ließ sich zeigen, dass die Effekte der Sterblichkeitssalienz auf gruppenrelevantes Verhalten dann eliminiert waren, wenn Menschen an eigene Kontrollpotenziale im Zusammenhang mit ihrem Tod {selbstbestimmtes Sterben) erinnert wurden (Fritsche et al., 2008). Folglich erscheint es möglich, dass die traditionellen Effekte der Sterblichkeitssalienz tatsächlich durch die Erschütterung grundlegender KontrollgefOhle bei Antizipation des eigenen Todes und daraus resultierende Motivation zur Wiederherstellung von Kontrolle erklärt werden können. Diese Befunde wurden in zahlreichen Studien repliziert. In weiteren Studien zeigte die unabhängige experimentelle Manipulation von Todessalienz und Kontrollsalienz erwartungsgetreu, dass lediglich die letztgenannte Variable einen Effekt auf die Verteidigung sozialer Eigengruppen ausübte (Fritsche & Jonas, 2008). Im dritten Projektjahr konnte gezeigt werden, das traditionelle Manipulationen von Sterblichkeitssalienz nicht nur Wahrnehmungen von Kontrollmangel sondern auch implizit erfasste Kontrollmotivation erhöhten. Dies stärkt die Annahme, dass kontrollbezogene Motivation hinter den beobachteten Effekten steht. In weiteren Studien interessierten uns die Bedingungen, unter denen eigene soziale Gruppen bei Salienz generalisierten Kontrollmangels an Bedeutung gewinnen, bzw. unter welchen sie dies nicht tun. Hierbei fand sich erste empirische Evidenz, dass eine soziale Eigengruppe sowohl als kultureil kontinuieriich wie auch als entitativ (homogen und handlungsfähig) wahrgenommen werden sollte, um bei generalisiertem Kontrollmangels bedeutsam zu werden. Die vortiegenden Befunde geben sowohl Einblick darin, wie Menschen mit existenziellen Realitäten umgehen, die generalisierte Kontrollwahrnehmungen beeinträchtigen, als auch in die Funktionen von Gruppenmitgliedschaft. Im Gegensatz zur TMT, in der interkulturelle Konflikte und Intoleranz als zwangsläufige Folge existenzieller Bedrohung aufgefasst werden, legen unsere Ergebnisse nahe, dass die Erhöhung persönlicher Kontrollwahrnehmungen und Entscheidungsfreiheiten zu einer Reduktion ethnozentrischen Verhaltens beitragen kann.
Publications
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