Finite-Elemente-Simulation des Außenohrs zur Analyse und Optimierung von gehörbezogenen Messverfahren und Geräten
Final Report Abstract
Die beiden Außenohren, also die Pinnae (Ohrmuscheln) und die Gehörgänge, bilden die "Eingänge" des Gehörs. In den meisten Hörsituationen lässt sich die auditive Wahrnehmung daher fast vollständig auf die beiden "Ohrsignale" zurückführen, ein Faktum, das die Basis der Binauraltechnik bildet. Bei elektroakustischer Beschallung durch Lautsprecher, Kopfhörer und Hörgeräte verschiedener Bauart kommt es also darauf an, die beiden Ohrsignale möglichst exakt einzustellen. Damit dies gelingt, werden bei den allermeisten Anwendungen Kopfhörer und Hörgeräte mithilfe eines Kupplers (Ohrsimulators) kalibriert bzw. vorentzerrt. Dann geht man davon aus, dass sich die gewünschten Signale direkt durch die Eingangsspannungen einstellen lassen. Für die Reproduktion von Sprach- und Musiksignalen über Kopfhörer ist diese Vorgehensweise in der Regel ausreichend, nicht jedoch für die Grundeinstellung von Hörgeräten; erst recht nicht, wenn es um präzise Messungen der Wahrnehmung, sei es im Rahmen von psychoakustischen Versuchen oder der audiometrischen Vermessung von Hörschäden geht. Ein wesentliches Problem bei der Generierung von Ohrsignalen besteht darin, dass man aus dem am Eingang des Gehörgangs auftretenden Schalldruck nicht ohne Weiteres auf den Schalldruck am Trommelfell schließen kann, weil die Drucktransformation stark von der individuellen Gehörgangsform, insbesondere von der Länge abhängt. Seit Jahrzehnten gab es daher Versuche, den Schalldruck am Trommelfell aus dem am Eingang bestimmten Druck zu schätzen bzw. ihn gezielt einzustellen. Diese Aufgabe wurde im Projekt erstmals zufriedenstellend gelöst. Die Einstellgenauigkeit beträgt an kritischen Stellen 2-3 dB und ist sonst deutlich besser. Im Gegensatz zu den Vorstellungen zu Beginn des Projekts konnte diese Genauigkeit mit einem einzigen Mikrofon, das am Gehörgangseingang positioniert wird, erzielt werden. Als eine erste Anwendung wurden Isophonen, also Kurven gleich laut wahrgenommener Schallpegel als Funktion der Frequenz "trommelfellbezogen" vermessen. Die Ergebnisse zeigen neben dem erwarteten Wegfall des Gehörgangseinflusses bisher nicht beachtete Strukturen, die in Zukunft untersucht werden müssen. Das Verfahren der Trommelfelldruckschätzung konnte nur deshalb erfolgreich entwickelt werden, weil zunächst die Charakteristika der Schallfelder des Außenohres (also im Bereich vor der Pinna, im Übergangsbereich des cavum conchae und im Gehörgang) mittels numerischer Verfahren (Finite Elemente) untersucht wurden. Dabei ergaben sich drei wesentliche Ergebnisse: (a) Der Schalldruck im tiefsten (tympanomeatalen) Winkel des Gehörgangs ist hervorragend als wahrnehmungsbestimmendes Signal geeignet. Dies ist ein wichtiges Ergebnis, weil damit der Trommelfellschalldruck, nun definiert als Schalldruck im tympanomeatalen Winkel, im Gegensatz zu früheren Definitionen unmittelbar gemessen werden kann. Nach der früheren Vorstellung war der Trommelfellschalldruck eine nur im Modell angebbare Größe, die den "effektiven" Schalldruck am Trommelfell angab. Es konnte gezeigt werden, dass der Schalldruck im tympanomeatalen Winkel einem mittleren Schalldruck um den Umbo herum, der als "effektiver" Schalldruck angesehen werden kann, recht gut entspricht. (b) Im Gehörgang existiert nur in einem gewissen Bereich ein "Fundamentalfeld", innerhalb dessen gemessen werden muss, wenn man starke Verfälschungen der Messergebnisse vermeiden will. Die ist ein ganz zentrales Ergebnis, weil damit erstmals die Existenz eines von der Schallquelle strukturell unabhängigen Feldbereichs im Gehörgang nachgewiesen wurde und gleichzeitig die Ausdehnung des Bereichs konkret angegeben werden konnte. Die Ausdehnung stellte sich als deutlich frequenzabhängig heraus. Damit ist nun eindeutig geklärt, in welchem Raumbereich man zuverlässige Messergebnisse erhalten kann, wenn man mit Gehörgangssonden misst. (c) Durch die Anwendung eines Impedanzmessverfahrens, wie es oft im Zusammenhang mit einer Schätzung des Trommelfellschalldrucks benutzt wurde, entsteht eine erhebliche Störung des Fundamentalfeldes, und zwar gerade in den besonders wichtigen Minima des Schalldrucks. Auf derartigen Impedanzmessungen beruhende Verfahren können also keine befriedigende Genauigkeit erreichen. Dies lieferte im Nachhinein die Erklärung dafür, dass solche Messverfahren zwar gelegentlich zu guten Eregebnissen führten, aber leider auch sehr häufig versagten. Eine Weiterentwicklung von immer genauer arbeitenden Impedanzmessköpfen ist also nicht zielführend, weil die Impedanzmessköpfe eine systematische Schallfeldstörung verursachen, die die Messergebnisse stark verfälschen. Ingesamt lässt sich festgestellen, dass nun fundierte Kenntnisse über die Schallfelder in Gehörgängen und vor der Pinna vorliegen, die theoretisch konsistent sind und gleichzeitig konkrete Anweisungen enthalten, wie man korrekt messen kann. Das aus diesen Überlegungen abgeleitete Verfahren zur Schätzung des Trommelfellschalldrucks mithilfe einer einzigen Mikrofonsonde ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich theoretische Erkenntnisse in die Praxis übertragen lassen. Die numerischen Untersuchungen wurden auch auf Hörgeräte ausgedehnt. Dabei wurden eindimensionale Modelle zur Vorhersage der akustischen Eigenschaften entwickelt und ihre Genauigkeit mit Finiten Elementen untersucht. Es zeigte sich, dass einfache Leitungselemente wie Zusatzbohrungen, Stichleitungen und Helmholtzresonatoren den Frequenzgang des Hörgeräts in eindimensional vorhersagbarer Weise beeinflussen, wenn man bekannte Mündungskorrekturen anwendet. Dies gilt jedoch nicht für nah benachbarte Abzweige und für neuartige Abstimmungselemente wie Umwegleitungen. Zur weiteren Untersuchung von Abstimmelementen in Form komplexer Strukturen mit starker akustischer Verkopplung wird man also in Zukunft nicht um den Einsatz numerischer Verfahren herumkommen.
Publications
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