Aktive Dämpfung von Ratterschwingungen beim Einlippentiefbohren
Final Report Abstract
Das Einlippentiefbohren wird bei vielen industriellen Erzeugnissen zur Herstellung von z. B. Hochdruck-, Ölversorgungs-, Entlüftungs- oder Kühlbohrungen eingesetzt. Bedingt durch die große Bohrtiefe l bei vergleichsweise geringem Bohrungsdurchmesser D weisen Einlippenbohrer mit einer Lange lw und einem Durchmesser d einen sehr hohen Schlankheitsgrad ƒÉ = lw/d von bis zu 100 auf, so dass die Biege- und die Torsionssteifigkeit dieser Werkzeuge im Vergleich zu konventionellen Wendelbohrern deutlich geringer sind. Des Weiteren besitzen Einlippenbohrer mit aufgelötetem Bohrkopf eine Einspannhülse und einen Schaft aus vergütetem Stahl und lediglich der Bohrkopf besteht aus dem Hartmetall-Schneidstoff. Die Zufuhr von Kühlschmierstoff (KSS) erfolgt mit hohem Druck durch das Werkzeuginnere und die Abfuhr des Spane-KSS-Gemisches wird durch eine offene Längsnut realisiert. Diese ist am Werkzeugschaft eingewalzt und führt aufgrund des veränderten Querschnittes zu einer Verringerung der Torsionssteifigkeit um bis zu 65 % im Vergleich zu einem Kreisringquer-schnitt. Daraus ergeben sich zusätzlich große Verdrehwinkelamplituden des Werkzeuges. Deswegen können basierend auf dem Regenerativeffekt selbsterregte Torsionsschwingungen mit hohen Amplituden im Tiefbohrprozess auftreten. Diese dynamische Instabilität, auch Rattern genannt, hat einen negativen Einfluss auf das Ergebnis des Bohrprozesses, da beim Rattern die Oberflachengute sinkt, der Werkzeugverschleiß schneller voranschreitet und dementsprechend das Werkzeugstandzeitende frühzeitig erreicht wird. In diesem Forschungsvorhaben wurde das Einsatzverhalten eines adaptiven Werkzeughalters zur Dämpfung von Torsionsschwingungen an Einlippentiefbohrwerkzeugen untersucht. Als anpassungsfähiges Dämpfungsmedium kommt ein magnetorheologisches Fluid (MRF), bestehend aus einem Trägerfluid und magnetischen Mikropartikeln zum Einsatz, das in Abhängigkeit eines Magnetfeldes seine Fließeigenschaften zwischen der Basisviskosität des Trägermediums und dem Festkörpermodus stufenlos ändert. In dem Werkzeughalter wird eine Entkopplung von Maschine und Werkzeug und dadurch eine torsionselastische Einspannung des Werkzeuges realisiert. Die Bohrmomentübertragung findet mithilfe des im Festkörpermodus betriebenen MRF statt. Dabei kann das Magnetfeld oberhalb der benötigten Bohrmomentgrenze durch zwei Magnetfeldspulen im Inneren des adaptiven Werkzeughalters variiert und so das Übertragungsverhalten des gesamten Feder-Dampfer-Systems in Abhängigkeit vom Prozesszustand verändert werden. Dieser wird über zwei Beschleunigungsaufnehmer in tangentialer Anordnung an der Einspannstelle des Werkzeuges detektiert. Die Signalübertragung findet dann durch eine Sensortelemetrie an den stationären Real-Time-Controller zur weiteren Verarbeitung statt. Die Stromversorgung der magnetfelderzeugenden Spulen erfolgt über einen Schleifringübertrager. Im Mittelpunkt dieses Forschungsvorhabens stand die Analyse des Einsatzverhaltens des adaptiven Werkzeughalters hinsichtlich der erreichbaren Bohrungsqualität und der Werkzeugstandzeit unter Variation der eingesetzten MRF. Dabei wurden sieben unterschiedliche MRF vom Kooperationspartner Fraunhofer-Institut für Silicatforschung (ISC) Würzburg sukzessive entwickelt und an die vom ISF gestellten Anforderungen angepasst. Des Weiteren wurde im Rahmen eines Arbeitspaketes die Systemregelung weiterentwickelt. Der Regelkreis, bestehend aus der Prozesszustandserkennung und der Spulenstromsteuerung, konnte durch den Einsatz eines modernen Echtzeit-Controllers bezüglich der Datenverarbeitungsgeschwindigkeit und der Flexibilität deutlich verbessert werden. Als Ergebnis der MRF- und der Regelkreisoptimierung war es möglich, unter Einsatz einer neu-en Wechselstrom-Regelungsstrategie für den adaptiven Werkzeughalter einen durchgehend stabilen Prozesszustand ohne Torsionsschwingungen zu erzielen. Neben der Steigerung der Prozesssicherheit ist auch eine verbesserte Oberflächengüte zu verzeichnen. Dabei liegt die unter Einsatz des adaptiven Werkzeughalters erzielte mittlere Rautiefe von Rz = 1,1 μm um durchschnittlich 75 % unter der mittleren Rautiefe Rz = 4,5 μm, die üblicherweise durch starke Rattermarken auf der Bohrungswand ohne Einsatz der Dämpfung erzeugt wird. Eine Erhöhung der Werkzeugstandzeit um 45 % konnte bei der sehr anspruchsvollen Bearbeitung von Kreuzbohrungen nachgewiesen werden. Diese sind häufig in dem Einsatzbereich von Einlippenbohrern, z. B. bei der Herstellung von Hochdruck-, Ölversorgungs-, Kühl-, Temperier- oder Entlüftungsbohrungen, vorzufinden und stellen durch den unterbrochenen Schnitt und die fehlende Bohrungswand zur Abstützung und Führung des Bohrkopfes, eine besondere Herausforderung an den Tiefbohrprozess dar. Des Weiteren wurde eine Einsatzqualifikation des adaptiven Werkzeughalters für weitere Prozesse am Beispiel des Wendeltiefbohrens vorgenommen. Dabei konnte der Zerspanprozess signifikant beeinflusst und eine deutliche Schwingungsdämpfung im niederfrequenten Bereich unterhalb von f = 6000 Hz erzielt werden. Aufgrund der hohen Eigenfrequenzen der eingesetzten Vollhartmetallwendelbohrer, die im Bereich über f = 6000 Hz liegen, wurde ein Resonanzfall unter Einsatz des adaptiven Werkzeughalters beobachtet. Bei den gemessenen hochfrequenten Schwingungen sind die Amplituden jedoch deutlich kleiner als bei den Einlippentiefbohrwerkzeugen, so dass nur ein geringer Anteil der Energie durch die Fluidreibung innerhalb des adaptiven Werkzeughalters dissipiert werden kann. Die Entwicklung des adaptiven Werkzeughalters hat das große Potenzial von magnetorheologischen Fluiden und ihren Einsatz als Dämpfungsmedium im Bereich der Schwingungsdämpfung für Zerspanprozesse aufgezeigt. Weitere Optimierungen des Gesamtsystems zur Schwingungsdämpfung stellen die Energie- und die Datenübertragung sowie die Integration solcher Systeme in die Maschinensteuerung dar. Des Weiteren ist auf Basis der im Rahmen dieses Forschungsvorhabens gewonnenen Erkenntnisse eine optimierte Konstruktion denkbar. Dadurch könnten die zurzeit bestehenden Problemstellen des existieren-den Systems beseitigt werden. Die an das Werkzeug gekoppelte Massenträgheit und der Durchmesser des MRF-Raumes sollten möglichst klein ausgelegt werden, damit keine Sedimentationsvorgänge aufgrund der Fliehkräfte auftreten und die Dämpfungswirkung sowie -adaptivität gewährleistet sind. Außerdem wird die Einstellbarkeit des MRF durch die Kombination von Drehmomentübertragung und Dämpfung beeinträchtigt. Diese zwei Funktionen sollten separat ausgeführt werden. Demnach könnten solche adaptiven Systeme zur Schwingungsdämpfung in die Maschinenspindel integriert und von der Maschinensteuerung autonom gesteuert bzw. geregelt werden. Im Bereich der Werkzeugentwicklung gewinnen die schwingungsdämpfenden und vor allem adaptiven Aufnahmekomponenten immer mehr an Bedeutung. Hier stellen die Erkenntnisse dieser Untersuchungen eine breite Basis zur Auslegung und Realisierung adaptiver Schwingungsdämpfer dar und können von Werkzeug- und Maschinenherstellern bei der Entwicklung von Komplettlösungen im Bereich der schwingungsdämpfenden Werkzeugaufnahmen bzw. Maschinenspindeln aufgegriffen werden.
Publications
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