Drei Städte: Soziale Netzwerke, soziale Unterstützung, familiäre Lebensformen und Kinderbetreuung in deutschen Großstädten - Eine Replikation der Studien von Martin Irle und Elisabeth Pfeil aus den 60er Jahren
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Vielen Autoren gilt die Großstadt als familienfeindlicher Raum in dem Infrastruktur, Arbeitsplätze und Zeitmuster so organisiert sind, dass ein familiäres Zusammenleben kaum möglich sei und sich soziale Gemeinschaften generell nur schwer aufrecht erhalten lassen. Ziel unserer Untersuchung war es die soziale Einbettung von Familien in der Großstadt zu untersuchen und dabei die bereits in den 50er und 60er Jahren von Autoren wie Pfeil und Bott gemachten Aussage über die Ausgestaltung der sozialen Netzwerke von Familie zu prüfen. Darüber hinaus galt es, die Ausgestaltung personaler Bindungen im Sinne der Gemeinschaftsmodelle von B. Wellmann zu prüfen. Vor dem Hintergrund unserer Untersuchung müssen wir die Annahme einer sozial isolierten Familie in der Großstadt ebenso ablehnen wie den Zerfall persönlicher, sozialer Bindungen in diesem Kontext überhaupt. Denn unsere Netzwerkanalyse zeigt, dass Familien mit Kindern nicht wirklich isoliert sind oder über mangelnde Unterstützungspotentiale verfügen, sondern dass die Generatoren, die bei der Erhebung der Netzwerke bisher venwandt wurden, gerade solche Beziehungen, welche die Unterstützungspotentiale von Familien ausmachen, nicht wirklich erfassen konnten. So können wir mit Hilfe des eigens für dieses Projekt entwickelten Instruments Wellmann's Thesen reproduzieren - dabei ist keines der vorgefundenen Netzwerktypen mit dem "Lost-Modell" identisch, insgesamt handelt es sich eher um eine Mischform des "Community-Liberated" und des "Saved" Modells. In der Betrachtung der konkreten sozialen Einbettung der Familien stoßen wir des Weiteren auf rege soziale Beziehungen sowohl zu Bekannten und Freunden als auch zu weiteren Verwandten und können damit die schon von E. Pfeil beschriebenen Netzwerkstrukturen bestätigen. Diese Kontaktgruppen spielen eine zentrale Rolle in der Bewältigung des Familienalltags in der Großstadt Familien erhalten hier nicht nur Unterstützung in der Kinderbetreuung und Hilfe im Krankheitsfall, sie treffen auch auf wichtige Gesprächspartner und Ratgeber. Im Vergleich zu den 50er Jahren (Pfeil) hat dabei die-Bedeutung von Freunden und Bekannten im Besonderen in der Kinderbetreuung zugenommen. Diese sind hier inzwischen wichtiger als Venwandte, so dass die Unterstützung durch Verwandte nicht mehr die gleiche existenzielle Bedeutung hat wie es noch in der Untersuchungsgruppe Pfeils der Fall war. Da hier vor allem auf Freunde und Bekannte in der Wohnumgebung zurückgegriffen wird, spricht dies auch für die Integration der Familien in die .Nachbarschaft. Davon abgesehen hat auch die Inanspruchnahme öffentlicher Kinderbetreuung die funktionale Bedeutung der Verwandtenkontakte in allen Städten vermindert. Dennoch ist dies nicht als Zerfall verwandtschaftlicher Beziehungen zu interpretieren, so gelten z.B. die eigenen Eltern in allen Städten nach Freunden und Bekannten als wichtigste Unterstützungspartner. Gleichzeitig stoßen wir auf solidarische Verbindungen zwischen den Generationen, die sich mit den von Bengtson beschriebenen Solidaritäts- Dimensionen klassifizieren lassen. Daneben hatten wir in einer Zusatzerhebung die Möglichkeit den Zusammenhang zwischen dem inner- und außerfamiliären Sozialkapital der Eltern und dem Schulerfolg der Kinder zu untersuchen. Im Ergebnis zeigt sich dass die heterogene Zusammensetzung des Netzwerks außerordentlich bedeutend für den kindlichen Schulerfolg ist, während sich Beziehungen zu Verwandten in der unmittelbaren Lebensumwelt der Familien sowie die starken Beziehungen negativ auf den Schulerfolg der Kinder auswirken. Das heißt: Wichtig ist ein Stock an außerfamiliärem Sozialkapital, auf den für Hilfe- und Unterstützungsleistungen zurückgegriffen werden kann. Insgesamt stellt sich die Familie in der Großstadt damit nicht als isolierte Kernfamilie sondern eher als soziales Netz dar. Dabei sind Familien nicht nur in multilokale Mehrgenerationenbeziehungen eingebunden, sondern auch Nachbarn, Bekannte und Freunde, so genannte "weak ties", sind Teil familiärer Netzwerke und uneriässliche Partner in der Bewältigung des Familienalltags. Die Großstadt wird von den Familien scheinbar nicht als familienfeindlicher Raum angesehen, sondern als ein sozialer Raum den es durch den Aufbau sozialer Netze zu erobern gilt Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass man sich hier gezielt solche Beziehungsnetze aufbaut, welche die Organisation des Familienlebens in der Großstadt erleichtern.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Individuen und ihre sozialen Beziehungen. Wiesbaden, VS Veriag für Sozialwissenschaften, Reihe: Forschung, Gesellschaft.
Hennig, Marina (2006)
- Families and their social relations in German cities: In: International Review of Sociology- Revue Internationale de Sociologie. Vol. 17, No. 2, July 2007, S. 239 - 256
Hennig, Marina (2007)
- Re-evaluating the Community Question from a German Perspective In: Social Networks. An international journal of structural analysis. Special Section: Personal Networks. Edited by Barry Wellman, Volume 29, Issue 3, July 2007, S. 375 - 391
Hennig, Marina (2007)
- When exactly do social relations become a resource? In: Friemel, Thomas (Hrsg.) Applications of Social Network Analysis. Proceedings of the 3rd Conference on Applications of Social Network Analysis, Konstanz, UVK Veriag, S. 19-30
Hennig, Marina (2007)