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Glocken, Trommeln, Muezzine – Koloniale (In)Toleranz religiöser Klänge

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung seit 2023
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 493131063
 
Moderne Kolonialreiche waren multiethnische und multireligiöse Gebilde, die ihre Eroberung und ihre Herrschaft teilweise dadurch legitimierten, dass sie die so genannten ‚unzivilisierten Völker befrieden‘ müssten, indem sie ihnen Religionsfreiheit und Religionstoleranz anboten. Das beantragte Teilprojekt befasst sich mit den darauffolgenden Widersprüchen in der Geschichte religiöser (In-)Toleranz in den kolonialen Gesellschaften des Britischen Weltreiches, indem es sich auf Praktiken und Aushandlungen (inter-)religiöser Lärmtoleranz konzentriert. Anhand sozialer Ingroup-Outgroup-Konzepte können Ablehnung oder Akzeptanz von Klängen in einem multireligiösen kolonialen Kontext verstanden werden. Als die koloniale Urbanisierung zu einer Konfrontation verschiedener religiöser Regeln und Vorstellungen in Bezug auf Lärm im öffentlichen Raum führte, beschwerten sich religiöse Autoritäten bei kolonialen Polizeistationen über die ‚Lärmbelästigung‘ durch profane Gruppen oder andere religiöse Gemeinschaften. Zugleich forderten Anwohner*innen von Kirchen, Moscheen oder traditionellen afrikanischen Initiationsgesellschaften ein Verbot des muslimischen Gebetsrufs, der Kirchenglocken oder des nächtlichen Trommelns. Das vorgeschlagene Projekt analysiert, mit welchen technischen, politischen und rechtlichen Maßnahmen die britischen Kolonialregierungen diese lokalen Konflikte bewältigten. Mit diesem historisch vergleichenden Projekt erforschen wir, welche Geräusche aus religiöser oder säkularer Sicht als tolerabel angesehen wurden und welche Geräusche in Bezug auf Qualität und Quantität als unerträgliche Blasphemie oder Erregung öffentlichen Ärgernisses galten (Arbeitspaket 1). Wenn religiöse Klänge missbilligt wurden oder profane Geräusche von religiösen historischen Akteuren abgelehnt wurden, untersuchen die Mitglieder des Teilprojektes, wie Respekt oder Missachtung durch koloniale Institutionen ausgehandelt oder auferlegt wurde (Arbeitspaket 2). Und mit der methodischen Reflexion von Lärm(in)toleranz als Indikator für Konflikte zwischen Gruppen schlägt dieses historische Projekt eine Brücke zwischen den beiden Bedeutungen von Toleranz als Einstellung und als Praxis (Arbeitspaket 3). Das Britische Weltreich bietet aufgrund seiner globalen Dimension, seines propagierten Engagements für die Freiheit der Religionsausübung, seiner langen Existenz und seiner kolonialen Migrationen und Transfers die geeigneten Fallstudien. In dem Projekt werden wir uns auf die drei ausgewählten kolonialen Metropolen Freetown (Sierra Leone), Accra (Ghana) und Mombasa (Kenia) konzentrieren. Die vergleichende Untersuchung dieser Fälle ist entlang des Disapproval–Respect -Modells unserer Forschungsgruppe strukturiert. Auf diese Weise kann dieses Teilprojekt für die gesamte Forschungsgruppe wichtige Erkenntnisse über die historische Dynamik von Toleranzpraktiken auf der Grundlage unterschiedlicher religiöser Überzeugungen und im Hinblick auf multikulturelle Kontexte beitragen.
DFG-Verfahren Forschungsgruppen
 
 

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