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Architekturen der Fürsorge-Begegnungen mit Obdachlosigkeit

Antragstellerin Dr. Natalia Martini
Fachliche Zuordnung Empirische Sozialforschung
Förderung Förderung seit 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 517411812
 
In den letzten vierzig Jahren hat der Aufstieg des neoliberalen städtischen Regimes, der durch die Beeinträchtigung des formalen Rahmens der sozialen Sicherheit und die Privatisierung von Risiken gekennzeichnet ist, die Unterordnung des städtischen sozialen Lebens unter die Rationalitäten der Eigenverantwortung und des Wettbewerbs gefördert. Infolge dieses marktgesteuerten Wandels hat die städtische Bevölkerung keinen sozialen Schutz mehr, der durch die staatliche soziale Solidarität gewährleistet wird, und ist in zunehmendem Maße Risiken ausgesetzt (u. a. in Verbindung mit Wirtschaftskrisen, Pandemien und dem Klimawandel). Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage nach informellen Formen der sozialen Sicherung an Bedeutung. Das vorgeschlagene Projekt betrachtet urbane Fürsorge - die sich durch alltägliche Unterstützungshandlungen von Fremden im urbanen Raum manifestiert - als eine solche Schutzmaßnahme und untersucht die kulturell-diskursiven, sozial-politischen und materiell-ökonomischen Bedingungen, die sie möglich machen. Mit einem praxistheoretischen Ansatz werden Architekturen der informellen Fürsorge polnischer Obdachloser in Berlin untersucht. Die Lebensumstände dieser Menschen, die sowohl durch ihren Migrationshintergrund als auch durch ihre Obdachlosigkeit geprägt sind, verdeutlichen, wie wichtig es ist, etwas über die Fürsorge für andere in der Stadt zu lernen. Das vorgeschlagene Projekt geht der Frage nach, was die Fähigkeit und den Wunsch gewöhnlicher Menschen (Angestellte, Reinigungskräfte, Wachleute usw.) ausmacht, obdachlose Stadtbewohner*innen in prosaischen städtischen Räumen (Tante-Emma-Läden, Einkaufszentren, Bahnhöfen usw.) zu unterstützen. Durch die Verlagerung des Schwerpunkts von der Fürsorge als moralische Motivation für individuelles prosoziales Verhalten auf die Vielzahl ineinander greifender Faktoren, die die Umsetzung der Fürsorge als soziale Praxis ermöglichen, bietet dieses Projekt die Aussicht auf eine kontextuelle Erklärung des "Geschehens" der städtischen Fürsorge. Die Bedeutung der in dem vorgeschlagenen Projekt aufgeworfenen Fragen bezüglich der informellen Pflege als Mittel des sozialen Schutzes und der Bedingungen, die sie ermöglichen, wird durch die Universalität des Pflegebedarfs und die Unfähigkeit des Staates und seiner Institutionen, sich um alle Mitglieder der Gesellschaft zu kümmern, verstärkt, was während der Covid-19-Pandemie mit äußerster Schärfe zutage trat. Durch die Untersuchung der soziomateriellen Konstitution der Fürsorgefähigkeit von Stadtbewohner*innen soll dieses Projekt wertvolle Erkenntnisse über die Bedingungen liefern, die eine schützende gesellschaftliche Reaktion auf Prekarität und Verwundbarkeit in Zeiten wachsender sozialer Unsicherheit ermöglichen.
DFG-Verfahren WBP Stelle
 
 

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