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Die (post-)koloniale Nutztierzucht in Namibia: Historische, sozial-ökologische und genetische Transformationen
Antragsteller
Professor Dr. Sven König
Fachliche Zuordnung
Tierzucht, Tierernährung, Tierhaltung
Förderung
Förderung seit 2021
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 454643100
Das Projekt untersucht in einem interdisziplinären Ansatz die Nutztierzucht in Namibia seit Beginn der Kolonialzeit (1884) bis heute als einen verschränkten Prozess historischer, sozial-ökologischer und genetischer Transformationen. Die Errichtung kolonialer Systeme in Afrika griff massiv in die dortigen Gesellschaften ein und führte zu tiefgreifenden Veränderungen der Lebensräume mit ihrer Biodiversität, Ressourcenausstattung und Landnutzung. Nutztierhaltung spielte in den kolonialen Unterfangen im heutigen Namibia eine zentrale Rolle und so führte Kolonialisierung hier zu einer starken Diversifizierung der Tierhaltungssysteme. Dies wiederum bedingte Transformationsprozesse in den Nutztierpopulationen auf phäno- und genotypischer Ebene. Koloniale Zukunftsentwürfe beinhalteten sowohl die Nutzung lokaler als auch die Ansiedlung europäischer Rassen. Dieser Wille zu einer geplanten Transformation war selbst Teil der Legitimation von Kolonialismus und biologistischem Rassismus: Vorhandene Produktionssysteme und Nutztierpopulationen galten – ebenso wie afrikanische Gesellschaften – als verbesserungswürdig durch europäische Anleitung. Im Austausch mit afrikanischen Arbeitern wurden auf den entstehenden kolonialen Farmen neue Formen der Tierhaltung und neue Züchtungen vorangetrieben. Bei diesem explorativen Vorgehen wurden die menschlichen Akteure sowohl durch die interkulturelle Kommunikation als auch durch die Diskrepanzen von Zuchtzielen und -resultaten fortwährend herausgefordert. Das Arbeitsvorhaben der Geschichte (CAU) untersucht daher, nach welchen überlieferten Strategien koloniale Züchtung gesteuert wurde und wie sich koloniale Mensch-Nutztier-Verhältnisse angesichts der Zuchtergebnisse veränderten. Es betrachtet dabei mikrohistorisch die afrikanischen Farmen ehemaliger Schüler und Schülerinnen der landwirtschaftlich ausgerichteten Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen und der Kolonialen Frauenschule in Rendsburg. Das Arbeitsvorhaben Soziale Ökologie (DITSL) ermittelt die Produktions- und Handlungslogiken der Tierhalter/innen in unterschiedlichen, aktuellen Weidewirtschaftssystemen in Namibia. Es untersucht, wie diese Logiken entstanden und wie sie mit unterschiedlichen Mensch-Tier- Umwelt-Beziehungen verknüpft sind. Durch das Arbeitsvorhaben der Tierzucht (JLU) wird es dann möglich zu prüfen, inwieweit koloniale gesellschaftliche Veränderungen zu Zuchtzieldefinitionen beigetragen haben und inwieweit daran ausgerichtete züchterische Prozesse anhand genetischer Daten heute messbar sind. Durch diese interdisziplinäre Herangehensweise werden historische, soziale, räumlich-landschaftliche und genetische Transformationen erstmals anhand eines konkreten Fallbeispiels im direkten Bezug zueinander erforscht. Dadurch wird geklärt, ob und gegebenenfalls wie durch die Kolonialisierung Weidewirtschaftssysteme dauerhaft verändert wurden oder ob und in welchem Umfang sich afrikanische Züchtungs- und Haltungspraktiken letztlich als resilient erwiesen.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen