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Moralität in interkultureller Perspektive: Selbst- und fremdbezogene Formen der Verantwortungszuschreibung

Antragstellerin Dr. Carina Pape
Fachliche Zuordnung Praktische Philosophie
Förderung Förderung von 2020 bis 2024
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 447925413
 
Das vorgestellte Forschungsprojekt untersucht moralische Praktiken und deren sprachliche Ausdrücke in verschiedenen Kulturen. Diese Praktiken und Ausdrücke werden zum einen im Anschluss an J.L. Austin anhand der sozialen Praxis von Be- und Entschuldigungen beschrieben. Zum anderen wird die dieser Praxis zugrundeliegende moralische Bildung untersucht. Dafür werden insbesondere Beispiele aus dem Englischen, Deutschen, Russischen und Japanischen analysiert. Es zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen diesen exemplarisch untersuchten europäischen und ostasiatischen Kulturen, die in der Moralphilosophie bislang nicht beachtet wurden. Beispielsweise zeigt sich, dass die meisten „Entschuldigungsformeln“ im Japanischen, wie „sumimasen“ oder „shitsureishimasu“, gar keine Ent-Schuldigung darstellen, wie diese für den europäischen Kulturraum von Austin beschrieben wurde. Stattdessen könnten sie vielmehr als Selbst-Beschuldigungsformeln bezeichnet werden, was den Kernunterschied in der Praxis der Verantwortungszuschreibung in diesen Kulturen verdeutlicht. Sowohl in den sprachlichen Ausdrücken als auch in den Praktiken gibt es in Japan eine klare Tendenz zu einer egozentrischen (selbstbezogenen) und in den europäischen Kulturen zu einer allozentrischen (fremdbezogenen) Verantwortungszuschreibung. Dies wird durch Fallbeispiele aus Medien, Literatur und Politik illustriert. Die Beschreibung der Praktiken und ihrer Unterschiede zielt auf eine Bereicherung des moralphilosophischen Diskurses: Welche Bedeutung hat die Vielfalt der sprachlichen Manifestationen von Moral und der zugehörigen Praktiken für aktuelle moralphilosophische Thesen zu Verantwortung, zur Rechtfertigung moralischer Haltungen oder von Schuldzuweisungen? Neben dieser interkulturellen Bereicherung des moralphilosophischen Diskurses werden im Gegenzug auch moralische (Be-) Wertungen der Kulturen kritisiert, insbesondere die noch immer sehr präsente Vorstellung von Scham- und Schuldkulturen. In dieser Vorstellung wird dem Phänomen der Scham und der aus der „schuldkulturellen“ Perspektive verkürzt wahrgenommenen „Schampraxis“ moralischer Wert allzu oft gänzlich abgesprochen. Als Alternative zu dieser kolonialistischen bzw. eurozentristischen Beschreibung der Kulturen werden ein allozentrisches und ein egozentrisches Modell der Verantwortungszuschreibung vorgeschlagen. Diese werden auch anhand von pädagogischen Konzepten und Praktiken in den verschiedenen Kulturen beschrieben, wobei ein Fokus auf der japanischen und bislang vor allem international kaum beachteten Praxis des Hansei (Selbstreflexion) liegt. Beide Modelle haben je eigene Stärken und Schwächen. Ein Vergleich kann neben den Schwächen auch die Stärken des jeweiligen Modells aufzeigen und sowohl für die moralphilosophische Reflexion als auch für eine moralphilosophisch fundierte Bildung genutzt werden.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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