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Area-Studies und Rechtswissenschaft zwischen Kolonialzeit und Kaltem Krieg: Das Beispiel der Universität Tübingen
Antragsteller
Professor Dr. Jochen von Bernstorff
Fachliche Zuordnung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Öffentliches Recht
Öffentliches Recht
Förderung
Förderung seit 2020
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 442981028
Dieses interdisziplinäre Projekt erforscht die Geschichte der Area Studies und der Rechtswissenschaft am Beispiel der Universität Tübingen von der Kolonialzeit bis in die jüngste Vergangenheit. Beide Wissenschaftsfelder vertraten einen dezidierten Nützlichkeitsanspruch, beide wollten dem Kolonialstaat nützliches Wissen zur Einordnung und Beherrschung fremder Gesellschaften an die Hand geben. Area-Experten setzten vorausgehende Ortserfahrungen und wissenschaftliche Kenntnisse dazu ein, um sich an der Transformation von Wirtschaft und Gemeinwesen in außereuropäischen Räumen zu beteiligen. Die Rechtswissenschaft entwickelte eigene rechtsdogmatische Figuren und Rechtfertigungsnarrative, die vom geltenden europäischen Völkerrecht und deutschen Rechtsnormen abwichen und so dem Makel der Rechtswidrigkeit der Kolonisierung entgegenwirkten. Das Teilprojekt analysiert und vergleicht, wie die räumlich verfassten Area Studies (auch Kolonial-, Auslands- und Überseekunde, Geographie, Entwicklungsforschung) und die Rechtswissenschaft sich an veränderte politische und institutionelle Kontexte anpassten und an der Universität Tübingen über Epochenumbrüche hinweg behaupteten. Den empirischen Ausgangspunkt bilden die Erfahrungshorizonte und Forschungspraktiken der Wissenschaftler, ihre Wissensformen und Nützlichkeitsnarrative. Übergreifende Leitfragen lauten: Welchen Stellenwert hatte das Koloniale für Lehre und Forschung in Area Studies und Rechtswissenschaften, aber auch für eine Universität insgesamt? Inwiefern und wie lange wirkten Denkmuster, Kategorien, Wissensordnungen und Praktiken aus der Kolonialzeit in der Wissenschaft nach? Drei Leitperspektiven strukturieren die Arbeit des Projekts:1. Praktiken der Wissensproduktion: Wie konstruierten und legitimierten die beteiligten Wissenschaftler ihre jeweiligen Wissensordnungen? Wie veränderten sie diese unter dem Druck sich wandelnder politischer Verhältnisse? Wann etablierten sich neue Forschungspraktiken? Inwiefern griffen die beiden Disziplinen bei ihrer Wissenserzeugung auf Wissen der Kolonisierten zurück? Wann und wie gerieten Vorstellungen von 'Zivilisierungsmission' und 'Modernisierung' ins Wanken?2. Wissenspolitiken: Wie positionierten sich die einzelnen Forscher im akademischen Feld? Welchen Stellenwert hatte die koloniale Wissensproduktion für diese Akteure und ihre Institute? Wie wurden die von ihnen gewonnenen Erkenntnisse genutzt? Wie veränderten sich politische Motive und Nützlichkeitsansprüche? 3. Vermittlung kolonialen Wissens und Reflexivität der Wissenschaftler: Inwiefern beteiligten sich die Wissenschaftler an der Kolonialpolitik oder in kolonialen Verbänden? Wann und wie bezogen sie öffentlich Stellung zu Kolonialfragen, zum Kolonialrevisionismus oder zur Dekolonisierung? Welche Relevanz hatten (post-) koloniale Themen in der akademischen Lehre? Wie reflektierten Forscher in Ego-Dokumenten über die Grenzen ihres Wissens, inwiefern hinterfragten sie und legitimierten sie ihre Arbeit?
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen