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Kollektivgeist oder Falsches Bewusstsein? Testung zweier komplementärer Modelle zur Integration von Prozessen gruppenbasierter und kompensatorischer Kontrolle
Antragsteller
Professor Dr. Immo Fritsche
Fachliche Zuordnung
Sozialpsychologie und Arbeits- und Organisationspsychologie
Förderung
Förderung seit 2020
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 441391823
Menschen bedürfen der Wahrnehmung, wichtige Aspekte ihres Lebens kontrollieren zu können. Ist diese Wahrnehmung (z.B. in persönlichen oder kollektiven Krisen) bedroht, versuchen sie ihre Kontrollüberzeugung wiederherzustellen. Gemäß zweien gegenläufigen Theorien nutzen Menschen ihre soziale Umwelt, um subjektive Kontrolle wiederherzustellen oder Kontrollverlust zu bewältigen. Die Theorie kompensatorischer Kontrolle (CCT) sagt, dass Menschen unter Bedrohung versuchen, Unklarheit zu reduzieren und ihre Umwelt zu strukturieren, indem sie mächtige Andere und soziale Strukturen (z.B. Hierarchien) unterstützen und sozialen Wandel ablehnen (conservative shift). Im Gegensatz dazu nimmt die Theorie der gruppenbasierten Kontrolle (GBCT) an, dass Menschen zunächst bestrebt sind, ihr – persönlich bedrohtes – Kontrollgefühl über ihr soziales Selbst (Gruppenmitgliedschaft) zurückzugewinnen. Dies geschieht durch erhöhte Identifikation mit handlungsfähigen Eigengruppen oder durch das aktive Streben nach kollektiver Handlungsfähigkeit (z.B. kollektives Handeln). Im Rahmen eines vorangegangenen DFG-Projekts konnten wir den Vorrang dieser gruppenbasierten Kontrollstrategien belegen, denn frühere CCT-Befunde können durch die GBCT erklärt werden: Die Erinnerung an geringe (vs. hohe) persönliche Kontrolle erhöhte die Unterstützung sozialer Hierarchien und sozialen Wandels, (nur) wenn dies subjektiv die kollektive Handlungsfähigkeit einer selbstdefinierenden Eigengruppe implizierte. Im Folgeprojekt wollen wir untersuchen, ob kompensatorische Kontrolle überhaupt eine Rolle beim Umgang mit persönlicher Hilflosigkeit spielt, und wenn ja, welche. Wir testen daher zwei Integrationsmöglichkeiten von GBCT und CCT: Erstens könnte Bedrohung dann zu kompensatorischen Kontrollstrategien führen, wenn subjektiv keine potenziell handlungsfähige Eigengruppe vorhanden ist. In drei Experimenten testen wir die spezifischen Randbedingungen kompensatorischer (statt gruppenbasierter) Strategien, nämlich die fehlende aktuelle und potenzielle Handlungsfähigkeit der Eigengruppe. Zweitens könnte das Streben nach Struktur und Ordnung innerhalb eigener Gruppen ein indirekter Weg zu gruppenbasierter Kontrolle sein, wie unsere vorherigen Ergebnisse zu Hierarchie-Einstellungen nahelegen. In drei Experimenten werden wir daher testen, ob hoch (vs. gering) strukturierte Gruppen die Kontrollwahrnehmungen hoch identifizierter Mitglieder vermittelt über verstärkte kollektive Handlungsfähigkeitswahrnehmungen erhöhen, und ob Personen sich unter persönlicher Kontrollbedrohung verstärkt mit hoch (vs. gering) strukturierten Eigengruppen identifizieren. Die Projektbefunde dienen der Integration gegenläufiger sozialpsychologischer Theorien der Bedrohungsbewältigung und können außerdem beitragen, die Effekte sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Krisen besser zu verstehen, insbesondere die Bedingungen unter denen Betroffene ihre sozialen Lebensumstände entweder rechtfertigen oder kollektiv herausfordern.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen