Ökonomie und Moral. Normativität und Wirtschaftshandeln im langen 20. Jahrhundert: Wissen, Dinge, Praktiken
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Verhältnis von Ökonomie und Moral ist ein wiederkehrendes Thema öffentlicher und politischer Debatten. Ob in Fragen nach der sozialen und ökologischen Verantwortung von Konsument:innen, Debatten über Steuermoral und Unternehmensverantwortung oder der Diskussion über angemessene Gehälter für Vorstandvorsitzende und Pflegekräfte: Häufig wird über solche ökonomischen Fragen unter Rückgriff auf normative Kategorien und Wertmaßstäbe gesprochen. Damit widerspricht die alltägliche Erfahrung schon intuitiv dem verbreiteten Selbstbild der Ökonomik als Wissensfeld, das von einer Wertneutralität der Sphäre der Ökonomie ausgeht. Allerdings erscheinen Ökonomie und Moral in diesen gesellschaftlichen Diskussionen oft als Antagonisten. Das Feld der Ökonomie wird als amoralisch vorgestellt und nach moralischen Werten und Normen gefragt, die als externe Regulierung verstanden werden. Im Gegensatz hierzu ist das Wissenschaftliche Netzwerk von der Ausgangsüberlegung einer engen Verschränkung von Ökonomie und Moral ausgegangen. Indem wir ökonomisches Handeln als soziales Handeln verstehen, erscheint es immer auch durch moralische Vorannahmen und Erwartungen strukturiert. Das Ziel des Netzwerks war es. diese normative Dimension in eine historische Analyse ökonomischer Praktiken im 20. Jahrhundert einzuordnen. Wir sind dabei bewusst von einem weit gefassten Begriff von „Ökonomie“ ausgegangen und haben in den konkreten empirischen Beiträge nach Beispielen gesucht, die auch jenseits der erwartbaren Quellen von Wirtschaftswissenschaft, Konsum und Unternehmenshandeln liegen. So spielen ökonomische Fragen eben auch eine zentrale Rolle im Feld der Religion, in der Veränderung von Geschlechterbeziehungen, in Vorstellungen eines guten und gesunden Lebens oder im Bereich von Kunst und Kultur. Die Relevanz des Netzwerks lag darin, diese enge Verschränkung von Ökonomie, Moral und Gesellschaft für das ‚lange‘ 20. Jahrhundert herauszuarbeiten, und zugleich in theoretisch-methodischer Perspektive die Frage zu reflektieren, wie sich diese Verschränkung historisch analysieren lässt. Wir haben uns dabei explizit gegen Interpretationen gewandt, die eine „moralische Ökonomie“ als normativ positiv bewerteten Teilbereich der Gesamtökonomie verstehen. Stattdessen haben wir unter dem Konzept einer „sozialen Einbettung“ der Ökonomie nach den Überschneidungen zwischen Ökonomie und Moral in der konkreten ökonomischen Alltagspraxis gefragt. Für eine breitere Öffentlichkeit sind die Ergebnisse des Netzwerkes aus drei Gründen von Interesse: Erstens verdeutlichen die Fallbeispiele die zentrale Bedeutung, die ökonomische Logiken und Fragestellungen im langen 20. Jahrhundert für die gesamte Gesellschaft erhielten, und dies eben nicht nur in jenen Bereichen, die gemeinhin der „Ökonomie“zugeschlagen werden, sondern für das gesamte Feld der gesellschaftlichen Praxis und Aushandlung. Zweitens verweisen die Forschungsergebnisse darauf, dass moralische Zuschreibungen im Feld der Ökonomie nicht allein als externe Kritik oder Intervention zu verstehen sind, sondern als integraler Bestandteil ökonomischer Praxis. Ebenso wie sich unter der Perspektive von „Ökonomie und Moral“ eine Kritik an überhöhten Managergehältern formulieren lässt, so lässt sich unter derselben Perspektive beispielsweise auch nach der spezifischen Binnenmoral dieser Personengruppen selbst fragen und danach, mit welchen normativ aufgeladenen Vorstellungen – beispielsweis von Arbeit und Leistung – die eigenen Einkommen gerechtfertigt werden. Drittens schließlich verweist der lange diachrone Zugriff des Netzwerkes auf die hohe Wandlungsfähigkeit moralischer Argumentationsmuster – und der Art, in der diese in die ökonomische Praxis und deren Darstellungs- und Legitimationsstrategien aufgenommen wurden. Die Plausibilität und Wirkungskraft bestimmter moralischer Deutungsmuster und Kritiken, so eine zentrale Erkenntnis des Projektes, haben selbst eine hohe historische Wandelbarkeit, die sich auch für die Gegenwart erkennen lässt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Consuming Anti-Consumerism: Fair Trade Products and the Ambivalent Legacy of “1968”, in: Contemporary European History 28,4, S.550-565.
Benjamin Möckel,
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Postkolonialwaren: “Dritte-Welt-Läden” – Utopie und Heterotopie eines gerechten Handels, in: Zeithistorische Forschungen 18,1
Benjamin Möckel
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Shopping Against Apartheid: Consumer Activism and the History of AA Enterprises (1986-1991), in: Knud Andresen/Sebastian Justke/Detlef Siegfried (Hg.), Apartheid and Anti-Apartheid in Western Europe, Basingstoke, S.71-90
Benjamin Möckel
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Das Dosenradio und die Entdeckung der „echten Bedürfnisse“ in den 1970er Jahren. Globalismus und vermarktungskritischer Design-Aktivismus bei Victor Papanek, in Jürgen Finger/Benjamin Möckel (Hg.), Ökonomie und Moral im langen 20. Jahrhundert. Eine Anthologie, Göttingen: Wallstein
David Kuchenbuch
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Erziehung zum „richtigen“ Konsum und Leben. Debatten über den Umgang mit Alkohol in den 1920er Jahren, in Jürgen Finger/Benjamin Möckel (Hg.), Ökonomie und Moral im langen 20. Jahrhundert. Eine Anthologie, Göttingen: Wallstein
Sina Fabian
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Gerechtigkeit, Republik und Demokratie. Die Gilets Jaunes in Frankreich 2018/19, in Jürgen Finger/Benjamin Möckel (Hg.), Ökonomie und Moral im langen 20. Jahrhundert. Eine Anthologie, Göttingen: Wallstein
Jürgen Finger
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Kaffee und Gerechtigkeit. „Campaign Coffee“ und die Entstehungsgeschichte des Fairen Handels, in Jürgen Finger/Benjamin Möckel (Hg.), Ökonomie und Moral im langen 20. Jahrhundert. Eine Anthologie, Göttingen: Wallstein
Benjamin Möckel
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Responsible Consumption and Production: Sustainability and the World of Goods since the Industrial Revolution, in: Martin Gutman (ed.), Before the SDGs. A Historical Companion the the UN Sustainable Development Goals, Oxford University Press S.355-384
Aniruddha Bose/Benjamin Möckel
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Schwarzspieler und andere Piraten. Moralisierung am Beispiel von Urheberrechtsdebatten nach 1945, in Jürgen Finger/Benjamin Möckel (Hg.), Ökonomie und Moral im langen 20. Jahrhundert. Eine Anthologie, Göttingen: Wallstein
Robert Bernsee
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Selbstverpflichtung gegen Apartheid? Internationale Handelsbeziehungen und die Politik von Verhaltensregeln, in Jürgen Finger/Benjamin Möckel (Hg.), Ökonomie und Moral im langen 20. Jahrhundert. Eine Anthologie, Göttingen: Wallstein
Knud Andresen
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TC100 – oder: Ulm, die Dinge und die Demokratie, in Jürgen Finger/Benjamin Möckel (Hg.), Ökonomie und Moral im langen 20. Jahrhundert. Eine Anthologie, Göttingen: Wallstein
Tim Schanetzky
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Verschwenderische Rüstungspolitik. Die Statistiken der US-Regierung über globale Militärausgaben (1970), in Jürgen Finger/Benjamin Möckel (Hg.), Ökonomie und Moral im langen 20. Jahrhundert. Eine Anthologie, Göttingen: Wallstein
Daniel Stahl
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Ökonomie und Moral im langen 20. Jahrhundert. Eine Anthologie, Göttingen: Wallstein
Jürgen Finger/Benjamin Möckel (Hg.)
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„Die DDR ist unser Haus“. Reparieren und Instandsetzen als sozialistische Gemeinschaftsaufgabe, in Jürgen Finger/Benjamin Möckel (Hg.), Ökonomie und Moral im langen 20. Jahrhundert. Eine Anthologie, Göttingen: Wallstein
Reinhild Kreis
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„Ein Steuerzahler!“ Tax Education in der frühen Bundesrepublik, in Jürgen Finger/Benjamin Möckel (Hg.), Ökonomie und Moral im langen 20. Jahrhundert. Eine Anthologie, Göttingen: Wallstein
Korinna Schönhärl
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„Fair Distribution“. John Bates Clark, die Grenzproduktivitätstheorie und die Spuren der Moral in der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften, in Jürgen Finger/Benjamin Möckel (Hg.), Ökonomie und Moral im langen 20. Jahrhundert. Eine Anthologie, Göttingen: Wallstein
Sören Brandes