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Ökonomie und Moral. Normativität und Wirtschaftshandeln im langen 20. Jahrhundert: Wissen, Dinge, Praktiken

Antragsteller Dr. Benjamin Möckel
Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 406936980
 
Erstellungsjahr 2023

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Verhältnis von Ökonomie und Moral ist ein wiederkehrendes Thema öffentlicher und politischer Debatten. Ob in Fragen nach der sozialen und ökologischen Verantwortung von Konsument:innen, Debatten über Steuermoral und Unternehmensverantwortung oder der Diskussion über angemessene Gehälter für Vorstandvorsitzende und Pflegekräfte: Häufig wird über solche ökonomischen Fragen unter Rückgriff auf normative Kategorien und Wertmaßstäbe gesprochen. Damit widerspricht die alltägliche Erfahrung schon intuitiv dem verbreiteten Selbstbild der Ökonomik als Wissensfeld, das von einer Wertneutralität der Sphäre der Ökonomie ausgeht. Allerdings erscheinen Ökonomie und Moral in diesen gesellschaftlichen Diskussionen oft als Antagonisten. Das Feld der Ökonomie wird als amoralisch vorgestellt und nach moralischen Werten und Normen gefragt, die als externe Regulierung verstanden werden. Im Gegensatz hierzu ist das Wissenschaftliche Netzwerk von der Ausgangsüberlegung einer engen Verschränkung von Ökonomie und Moral ausgegangen. Indem wir ökonomisches Handeln als soziales Handeln verstehen, erscheint es immer auch durch moralische Vorannahmen und Erwartungen strukturiert. Das Ziel des Netzwerks war es. diese normative Dimension in eine historische Analyse ökonomischer Praktiken im 20. Jahrhundert einzuordnen. Wir sind dabei bewusst von einem weit gefassten Begriff von „Ökonomie“ ausgegangen und haben in den konkreten empirischen Beiträge nach Beispielen gesucht, die auch jenseits der erwartbaren Quellen von Wirtschaftswissenschaft, Konsum und Unternehmenshandeln liegen. So spielen ökonomische Fragen eben auch eine zentrale Rolle im Feld der Religion, in der Veränderung von Geschlechterbeziehungen, in Vorstellungen eines guten und gesunden Lebens oder im Bereich von Kunst und Kultur. Die Relevanz des Netzwerks lag darin, diese enge Verschränkung von Ökonomie, Moral und Gesellschaft für das ‚lange‘ 20. Jahrhundert herauszuarbeiten, und zugleich in theoretisch-methodischer Perspektive die Frage zu reflektieren, wie sich diese Verschränkung historisch analysieren lässt. Wir haben uns dabei explizit gegen Interpretationen gewandt, die eine „moralische Ökonomie“ als normativ positiv bewerteten Teilbereich der Gesamtökonomie verstehen. Stattdessen haben wir unter dem Konzept einer „sozialen Einbettung“ der Ökonomie nach den Überschneidungen zwischen Ökonomie und Moral in der konkreten ökonomischen Alltagspraxis gefragt. Für eine breitere Öffentlichkeit sind die Ergebnisse des Netzwerkes aus drei Gründen von Interesse: Erstens verdeutlichen die Fallbeispiele die zentrale Bedeutung, die ökonomische Logiken und Fragestellungen im langen 20. Jahrhundert für die gesamte Gesellschaft erhielten, und dies eben nicht nur in jenen Bereichen, die gemeinhin der „Ökonomie“zugeschlagen werden, sondern für das gesamte Feld der gesellschaftlichen Praxis und Aushandlung. Zweitens verweisen die Forschungsergebnisse darauf, dass moralische Zuschreibungen im Feld der Ökonomie nicht allein als externe Kritik oder Intervention zu verstehen sind, sondern als integraler Bestandteil ökonomischer Praxis. Ebenso wie sich unter der Perspektive von „Ökonomie und Moral“ eine Kritik an überhöhten Managergehältern formulieren lässt, so lässt sich unter derselben Perspektive beispielsweise auch nach der spezifischen Binnenmoral dieser Personengruppen selbst fragen und danach, mit welchen normativ aufgeladenen Vorstellungen – beispielsweis von Arbeit und Leistung – die eigenen Einkommen gerechtfertigt werden. Drittens schließlich verweist der lange diachrone Zugriff des Netzwerkes auf die hohe Wandlungsfähigkeit moralischer Argumentationsmuster – und der Art, in der diese in die ökonomische Praxis und deren Darstellungs- und Legitimationsstrategien aufgenommen wurden. Die Plausibilität und Wirkungskraft bestimmter moralischer Deutungsmuster und Kritiken, so eine zentrale Erkenntnis des Projektes, haben selbst eine hohe historische Wandelbarkeit, die sich auch für die Gegenwart erkennen lässt.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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