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Gastfreundschaft und Gottvertrauen: Mittelalterliche Praktiken und Semantiken des Vertrauens
Antragstellerin
Professorin Dr. Susanne Reichlin
Fachliche Zuordnung
Germanistische Mediävistik (Ältere deutsche Literatur)
Förderung
Förderung von 2018 bis 2024
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 403178526
In Anbetracht des gegenwärtig schwindenden Vertrauens in Institutionen ist Vertrauen als Praxis, die grundlegend Sozialität stiftet, aber in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen auf unterschiedliche Art wirksam ist, neu zu befragen. Dazu sind auch historische Formen von Vertrauen genauer zu analysieren, da die gängige Annahme, dass in der Moderne das Institutionenvertrauen und in der Vormoderne das durch Gottvertrauen stabilisierte Personenvertrauen dominiert, nicht trägt. Diese Annahme wird nicht nur durch gegenwärtige Entwicklungen in Frage gestellt, sondern auch jüngere Forschungen zeigen, dass vormoderne Vertrauenspraktiken fast immer sowohl personale als auch institutionelle Komponenten beinhalten.Im Forschungsprojekt sollen daher mittelalterliche Vertrauenspraktiken und -semantiken anhand narrativer und geistlicher Quellen erforscht werden: Untersucht wird zum einen die erzählerische Darstellung und Reflexion von sozialen Vertrauenspraktiken im Bereich der Beherbergung von Fremden, zum anderen das semantisch prägnante und performativ wirksame Sprechen über Gottvertrauen in volkssprachlichen mystischen Texten (Mechthild von Magdeburg, Meister Eckhart und Johannes Tauler). Anhand der beiden Arbeitsbereiche soll zum einen erforscht werden, mittels welcher Begrifflichkeiten (getriuwunge, zuoversiht, triuwe, gedingen) und welcher Konzepte über Vertrauen nachgedacht wird, und zum anderen analysiert werden, mittels welcher performativer Akte und Medien (intra- und extradiegetisch) Vertrauen erzeugt wird. Diese beiden Arbeitsfelder wurden gewählt, um die bis anhin nicht erforschte Interdependenz von horizontalen (sozialen) und vertikalen (religiösen) Vertrauenspraktiken besser zu verstehen und die Prozessualität und Habitualisierung von Vertrauen auf der Basis unterschiedlicher Quellengattungen auch in darstellungstechnischer Hinsicht zu analysieren. Dadurch sollen erste Bausteine zu einer methodisch avancierten Begriffsgeschichte des Vertrauens bereitgestellt und eine differenziertere Modellbildung zur Unterscheidung unterschiedlicher Vertrauenstypen entwickelt werden. Methodisch sollen dabei zwei unterschiedliche Herangehensweisen, nämlich eine historisch-semantische und eine performativ-praxeologische, miteinander kombiniert werden. Dadurch können die bis anhin meist isoliert untersuchten Ebenen von Vertrauen – die Begrifflichkeiten und die Performativität von Vertrauen, die Praktiken der Vertrauenserzeugung und die Tauschökonomie – in ihrer Verschränkung erforscht werden. Dazu ist eine literaturwissenschaftliche Perspektive nötig, die nicht nur die dargestellten Vertrauenspraktiken, sondern auch die Darstellungspraktiken untersucht und die nicht nur die in mystischen Texten thematisierten Konzepte des Gottvertrauens, sondern auch die Performativität mystischer Texte in den Blick nimmt.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen