Lokales Sozialkapital und der Aufstieg des Rechtspopulismus
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Fördern Sportvereine Toleranz und Zusammenhalt – oder verbreiten sich am Stammtisch nach dem Fußballtraining populistische Parolen besonders schnell? Für die gezielte Förderung von Toleranz in der Gesellschaft ist es wichtig, die Beziehungen innerhalb der Zivilgesellschaft zu kennen und zu verstehen. Die Summe dieser Beziehungen wird als Sozialkapital bezeichnet und bildet der „Kitt“ der Gesellschaft. Bisher wurde zumeist angenommen, dass Gemeinschaften mit intakten sozialen Beziehungen weniger stark populistischen Strömungen zuneigen und die Demokratie fördern. Allerdings könnte das mit sozialen Netzen verbundene Vertrauen gleichermaßen auch die Verbreitung von Populismus beschleunigen, etwa wenn Sportvereine systematisch durch Extremisten unterwandert werden. Aus theoretischer Sicht könnte Sozialkapital also sowohl populismusbremsend als auch -verstärkend wirken. Gesicherte empirische Evidenz zum Zusammenhang von Sozialkapital (Vereine, Clubs etc.) und der Verbreitung von Populismus war bisher rar. In diesem Projekt konnten nunmehr einige Forschungslücken gefüllt werden. Es wurden unterschiedliche Länder, unterschiedliche Zeiten und verschiedene Arten sozialer Beziehungen betrachtet, um die Verbindung von Sozialkapital und Populismus sowie die Abhängigkeit vom jeweiligen sozialen Kontext zu untersuchen. Die wichtigste Erkenntnis des Projektes ist, dass soziale Netze kurz- und langfristig zur Verbreitung von Rechts- und Linkspopulismus beitragen können. In deutschen Städten gehen höhere Mitgliederzahlen in Sportvereinen kurzfristig mit höheren Stimmergebnissen für rechtspopulistische Parteien einher. Um dies kausal zu belegen, wurden Sprünge in den Mitgliederzahlen nach dem Aufstieg eines lokalen Fußballvereins ausgenutzt. Ein zweites Projekt nutzt eine umstrittene Verwaltungsreform im österreichischen Bundesland Steiermark, die nur Teile des Landes betraf und dort Proteste auslöste. Die Zustimmung zu den Rechtspopulisten, die die Proteste anführten, stieg in solchen Gemeinden besonders stark, in denen viele Vereine aktiv sind. Diese bildeten eine starke Basis zur Verbreitung der Proteste. Schließlich konnte in einem Projekt gezeigt werden, dass die soziale Gruppe der nach Kriegsende in der damaligen Tschechoslowakei verbliebenen Sudetendeutschen (zu einem großen Teil profilierte Antifaschisten) bis heute eine starke Basis des Kommunismus in Tschechien sind, obwohl die Identität als Deutsche in dieser Gruppe nahezu vollständig verschwunden ist. Die Ergebnisse des Projektes deuten in Summe darauf hin, dass soziale Netze die Verbreitung von Populismus eher begünstigen. Eine „bremsende“ Wirkung von Sozialkapital konnte in keinem der untersuchten Fälle belegt werden. Eine besonders überraschende Erkenntnis dieses Projektes ist, dass „reale“ Netzwerke wie Sport- und andere Vereine populistische Tendenzen sogar stärker verbreiten können als Social-Media-Kanäle. Voraussetzung hierfür sind eine bereits in größeren Teilen der Gesellschaft verankerte populistische Grundhaltung – oder Populismus begünstigende Eigenschaften von Vereinen (z. B. starke Fokus auf inneren Gruppenzusammenhalt statt auf gesellschaftlichen Zusammenhalt). Vereine begünstigen also nicht per se die Verbreitung von Populismus – der Kontext ist hierfür entscheidend. Auf Basis dieser neuen Erkenntnisse lässt sich Toleranz über die Institutionen der Zivilgesellschaft deutlich gezielter fördern als bisher. Dennoch zeigte sich im Projektverlauf auch weiterer großer Forschungsbedarf, der insbesondere auf einen großen Mangel an Individualdaten zurückzuführen ist. Die Erkenntnisse dieses Projektes beruhen maßgeblich auf aggregierten Zahlen für Städte und Gemeinden. Tiefere Einblicke in die individuellen Beziehungen zwischen Vereinsmitgliedern sind hier nur bedingt möglich. Die künftige Forschung sollte außerdem auch die umgekehrte Kausalität von regierenden Populisten auf die Zivilgesellschaft untersuchen. Ein Spin-Off-Projekt aus dem geförderten Vorhaben untersucht inzwischen diese Frage genauer.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2021): Forced migration, staying minorities, and new societies: Evidence from ethnic cleansing in Czechoslovakia, IZA Discussion Paper 14191, Bonn. Zugleich: CESifo Working Paper 8950, CERGE-WP 683
Grossmann, J., Š. Jurajda, F. Roesel
(Siehe online unter https://doi.org/10.2139/ssrn.3808454 https://doi.org/10.2139/ssrn.3812067 https://doi.org/10.2139/ssrn.3784126) - (2021): Taxation under direct democracy, CESifo Working Paper 9166, München
Geschwind, S., F. Roesel
(Siehe online unter https://doi.org/10.2139/ssrn.3882366)