Moderne ohne Zukunft. Tiepolo und die Aufklärung des Bildes
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Zentrum des Forschungsprojekts steht der im Jahre 1696 in Venedig geborene Maler Giambattista Tiepolo, der in seiner Heimatstadt selbst intensiv tätig war, für die europäische Aristokratie arbeitete und schließlich als Hofmaler an den spanischen Königshof berufen wurde. Er steht aber zugleich mit seinem vielschichtigen Œuvre an der Zeitenwende zur Aufklärung. Das Projekt hat den Anspruch einer neuen Kontextualisierung und Neubewertung des Malers durch das Postulat eines ‚aufgeklärten‘ Tiepolo. Noch weitergehend geht es darum, das so gern als ‚rückschrittlich‘ bezeichnete, sich intellektuellen Denkmustern der Sattelzeit des 18. Jahrhunderts angeblich verweigert habende Italien insgesamt an die nördlich der Alpen geführten Diskurse der Frühaufklärung anzubinden und die Spielarten entsprechenden Denkens in Oberitalien um 1750 zu rekonstruieren. Die Forschungsergebnisse sind im Rahmen einer ausführlichen Monografie dokumentiert: In zwei Schritten, die wiederum den beiden analytischen Hauptteilen der Studie entsprechen: Im ersten Teil geht es um die Rekonstruktion des intellektuellen Umfelds und weiterhin des allgemeinen diskursiven Kontexts des Malers innerhalb der italienischen Frühaufklärung. Denn lange Zeit war Tiepolo als eine Art gehobener Dekorationsmaler und Abgesang spätbarocker Vorstellungen angesehen worden, der in Rekordzeit mehr oder weniger komplizierte Programme zum Lob der Auftraggeber realisierte. Der methodisch wichtigste Neuansatz dieses Forschungsprojektes besteht nun darin, Tiepolo, seine Auftraggeber und Freunde nachweislich mit Diskussionen der ästhetisch-sozialen Reform der oberitalienischen Aufklärung in Verbindung zu bringen. Und aufzuzeigen, dass die frühaufklärerische Ästhetik ein derart zentrales Thema der Zeit war, dass sowohl Bildproduktion als auch -rezeption an diesen Parametern unterworfen waren. Zentrale Stichworte des Sensualismus der arkadisch geprägten Ästhetik im mittleren 18. Jahrhundert sind der „buon gusto“, eine Abkehr von den ‚Verirrungen‘ des 17. Jahrhunderts und Besinnung auf Natürlichkeit, Ordnung, Einfachheit etc. Der zweite Teil zielt darauf, vor der entsprechend rekonstruierten Folie Tiepolos profane Freskenzyklen verändert zu analysieren. Daraus resultiert eine Neudeutung von Tiepolos Malerei, die nun als intellektuell anspruchsvolle, quasi ‚aufgeklärte‘ Kunst zu verstehen ist und deren neuartiges Moment in einer intensiven Aufwertung der bildnerischen Mittel (Formen und Farben) gegenüber (tradierten) Ikonografien, Bildrhetoriken und einer möglichst überzeugenden Illusion bzw. Naturnachahmung besteht: An zentralen Werkgruppen aus dem Œuvre Tiepolos wird gezeigt, dass Tiepolo sein reformiertes Bildkonzept in entscheidenden Punkten immer wieder gegen Albertis Poetik des Historienbildes konturiert hat. Jedoch hat Tiepolo seine eigene Positionsbestimmung hinsichtlich der bildtheoretischen Fragen nicht sprachlich, sondern ausschließlich malerisch vollzogen. Im Zusammenspiel mit den reformästhetischen Strömungen, die ihr Interesse zunehmend auf eine als reinigend empfundene Rückbesinnung auf die Ursprünge gerichtet hat, kommt der Malerei Paolo Veroneses innerhalb des von Tiepolo entwickelten Bildkonzepts eine besondere Signifikanz zu. Der konsequente und exklusive Rückbezug auf den berühmten Maler der venezianischen Renaissance ist dabei aber nicht bloß als oberflächliche Adaption einer im 18. Jahrhundert äußerst populären und allgemein als besonders festlich angesehenen Malerei aus der Glanzzeit der Serenissima zu verstehen. Vielmehr ist er als ein ästhetisches Bekenntnis zu einer ursprünglichen Malerei zu interpretieren: Die zentrale Identifikationsfigur der Scuola veneziana lieferte Tiepolo nicht Begriffe und Theorien, sondern sinnlich konkrete Malerei, aus der sich über genaue Betrachtung der formalen Eigenschaften gleichsam forschend neue Einsichten zu den medienspezifischen Grundbedingungen gewinnen ließen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- „Wie ein Veronese nach einem Platzregen“. Tiepolo und die italienische Frühaufklärung, in: Tiepolo. Der beste Maler Venedigs, hrsg. von Annette Hojer, [Ausstellungskatalog: Stuttgart, Staatsgalerie], Dresden 2019, S. 49–56
Alexander Linke
- Aufgeklärte Blicke. Inszenierte Bildvergleiche mit Veronese bei Ricci, Tiepolo und Piazzetta, in: La città dell’occhio. Dimensioni del visivo nella letteratura e pittura veneziane del Settecento, hrsg. von Barbara Kuhn und Robert Fajen, Roma 2020 (Venetiana, 22), S. 225–245
Alexander Linke
(Siehe online unter https://doi.org/10.23744/2694) - Zweiklänge. Pendantgemälde der Würzburger Zeit, in: „Der Arbeit die Schönheit geben“. Tiepolo und seine Werkstatt in Würzburg, hrsg. von Damian Dombrowski, [Ausstellungskatalog: Würzburg, Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg], Berlin 2020, S. 195–198
Alexander Linke
- Tiepolos Moderne. Ästhetische Reform und Aufklärung, Berlin 2022
Alexander Linke