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Anti-Establishment-Politik in Europa: Issue-Gestaltung, Wahlverhaltensmuster und Gegen-systemische Repräsentationsstrategien

Antragsteller Dr. Bartek Pytlas
Fachliche Zuordnung Politikwissenschaft
Förderung Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 391643469
 
Erstellungsjahr 2022

Zusammenfassung der Projektergebnisse

In der letzten Dekade erlebten viele Demokratien in Europa (Wieder-)Aufstieg und Ausdifferenzierung von Anti-Establishment-Politik. Im Projekt “Anti-Establishment-Politik in Europa” untersuchte Dr. Bartek Pytlas (LMU München) diverse strategische Botschaften einer fundamental „anderen“, „echten“ repräsentativen Politik und analysierte, wie diese Rhetorik die Wahlergebnisse von diversen Parteien beeinflusst. Im Projekt wurden multimethodisch 142 digitale Kampagnen von radikal rechten, linken und ‘zentristischen’ Anti-Establishment-Parteien (AEPs) und deren konventionellen Konkurrentinnen bei 23 Wahlen in acht EU-Ländern 2010-2019 untersucht. Die Analyse offenbart, dass AEPs diverse Anti-Establishment-Botschaften kombinierten, und diese zur rhetorischen Normalisierung ihrer oft unverändert gebliebenen substantiellen Positionen nutzten. Es ist daher erstens wichtig, dass wir Wahlgewinne einer jeden Anti-Establishment-Partei nicht automatisch als Erfolg des Populismus interpretieren. Zunächst dürfen primäre kulturelle und ökonomische Ideologien nicht mit Populismus verwechselt werden. Gleichzeitig wird aber deutlich, dass Anti-Establishment-Selbstdarstellungen von “guter repräsentativer Politik” und “wahren Eliten” eine wichtige Hilfsfunktion für Wahlmobilisierung spielen. Überraschenderweise waren stärker populistische oder technokratische AEPs unter sonst gleichen Umständen allerdings nicht erfolgreicher als Parteien, die diese Ideen weniger betonten. Anders als konventionelle Parteien profitierten AEPs stattdessen von stärkerer Behauptung, eine außergewöhnliche politische Berufung zu verkörpern, also besondere politische Fertigkeiten und Tugenden zu besitzen, die für eine Wiederbelebung der formal-repräsentativen Elitenpolitik per se notwendig seien. Die Studie zeigt auch: AEPs porträtierten sich selten bloß als nicht-etablierte Außenseiter, die fordern, das System gänzlich zu stürzen. Stattdessen versuchten die meisten, sich als grundsätzlich distinktiv, aber zugleich als legitime und glaubwürdige “wahre Eliten” darzustellen und profitierten elektoral von dieser flexiblen rhetorischen Kalibrierung. Allerdings unterschieden sich die radikale Rechte und Linke deutlich bezüglich ihrer spezifischen Normalisierungsstrategien und den Effekten ihrer Kalibrierung. Die Studie zeigt damit, dass persuasive Rhetorik für breiteres Mobilisierungspotential von AEPs eine wichtige Rolle spielt, aber auch dass es unerlässlich ist, rhetorische Strategien mit substantiellen Ideologien und politischer Praxis zu kontrastieren. Pluralistische Versprechen, die repräsentative Malaise zu korrigieren, können dabei helfen, der Korruption entgegenzutreten oder Betroffene von struktureller Diskriminierung zu stärken. Wenn Anti-Establishment-Strategien aber mit anti-pluralistischen Ideen kombiniert werden, können sie stattdessen dazu genutzt werden, nativistische und autoritäre Umdeutungsversuche gesellschaftspolitischer Werte, sowie Zementierung von Macht und Privileg auf Kosten bürgerlicher Freiheiten und demokratischer Schutzmechanismen unauffälliger als bloße „Ausbesserung“ der aktuellen Politik darzustellen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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