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Fingierte Mündlichkeit in literarischen Texten: Interdisziplinäre Studien zwischen quantitativ-linguistischen und literaturwissenschaftlichen Ansätzen mit einem Schwerpunkt auf James Joyce' Ulysses

Fachliche Zuordnung Einzelsprachwissenschaften, Historische Linguistik
Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Kulturwissenschaft
Förderung Förderung von 2017 bis 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 380283145
 
Erstellungsjahr 2022

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt zielte darauf ab, moderne korpuslinguistische Methoden für die Analyse literarischer Texte fruchtbar zu machen. Im Vordergrund stand die "fingierte Mündlichkeit", also gesprochene Sprache in literarischen Texten, spezifisch in James Joyce' Ulysses. Dieser Roman wurde untersucht, da er nicht nur eines der bedeutendsten literarischen Werke des 20. Jahrhunderts ist, sondern auch große Textanteile an gesprochener Sprache und innerem Monolog enthält und für seine innovativen Techniken der Dialoggestaltung bekannt ist. Gleichzeitig wurden 30 andere literarische Werke mit Hinblick auf die Repräsentation gesprochener Sprache untersucht. Zudem wurden natürlichsprachliche Referenzkorpora herangezogen. Jenseits der spezifischen, literaturwissenschaftlich motivierten Untersuchungen, die sich im Rahmen des Methodenkanons der Registeranalyse und Stilometrie bewegten, wurden in dem Projekt zudem neue statistische Verfahren angewandt, mit dem Ziel einer Erweiterung des methodischen Werkzeugkastens für Studien an der Schnittstelle zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft. Im Zentrum stand zunächst die Frage, wie sich die fingierte Mündlichkeit zur authentischen Mündlichkeit verhält und ob sich durch korpuslinguistische Methoden eine spezifische Literarizität fiktionaler Dialoge bestimmen lässt, die sich fundamental von der natürlichen Mündlichkeit unterscheidet. Die Befunde, die sich aus der quantitativen Untersuchung ergaben, weisen auf eine starke Ähnlichkeit zwischen der fingierten Mündlichkeit und der authentischen gesprochenen Sprache hin. Eine globale Literarizität der fingierten Mündlichkeit ließ sich auf Basis der im Projekt untersuchten Eigenschaften nicht ermitteln. Bei einer detaillierten Betrachtung stechen allerdings systematische Unterschiede zwischen der natürlichen und der fingierten Mündlichkeit ins Auge. Einige Eigenschaften der authentischen Sprache - z.B. Performanzfehler, Redundanzen und Überlappungen - sind in literarischen Werken weniger stark abgebildet, sofern sie nicht eine spezifische literarische Funktion erfüllen. Allerdings zeigte sich, dass sich Autoren teilweise stark untereinander sowie werkintern, d.h. in der Homogenität bzw. Heterogenität der Sprache ihrer Charaktere unterscheiden. Joyce' Ulysses stellt dabei einen Extremfall dar, insofern als die Sprache der Charaktere linguistisch-strukturell stark ausdifferenziert ist. Die Sprache einiger Charaktere ist sehr nah an der prototypischen Schriftlichkeit, während andere sich nah an der authentischen Mündlichkeit bewegen. In anderen Werken, etwa bei Roddy Doyle, ist die Sprache der Charaktere deutlich homogener. Empirische, quantitative Beobachtungen dieser Art werfen neues Licht auf die untersuchten Werke und werfen neue Fragen auf, welche dann aus literaturwissenschaftlicher Perspektive adressiert wurden, z.B.: "Inwieweit tragen Eigenschaften der fingierten Mündlichkeit zur indirekten Charakterisierung sowie zur Darstellung von Perspektiven bei?" Neben der fingierten Mündlichkeit wurde als weiterer Schwerpunkt die Darstellung der inneren Monologe bzw. Gedanken der Figuren untersucht. Aufschlussreich war dabei eine Untersuchung des Faktors 'Zeit' bei den Gedanken in Ulysses. Da Gedanken nicht phonetisch artikuliert werden, entziehen sie sich der physikalischen Messbarkeit, beim Lesen des Romans werden sie aber zeitlich strukturiert verarbeitet. Diese Untersuchungen warfen auch ein neues Licht auf die Genese des Werkes, z.B. insofern als spätere Ergänzungen von Gedanken teilweise kaum mit dem Realismusanspruch der Zeitdarstellung kompatibel sind. Insgesamt zeigte sich, dass die Sprache der Gedanken in einem Kontinuum zwischen deskriptiver Schriftlichkeit und fingierter Mündlichkeit angesiedelt ist, aber wiederum stark zwischen den Charakteren variiert. Bei Stephen Dedalus z.B. lassen sich kaum strukturelle Unterschiede zwischen Gedanken und Sprache beobachten, während die beiden Modi bei Leopold Bloom klar ausdifferenziert sind. Hier spiegeln sich unterschiedliche Verhältnisse zwischen private self und public face wieder, die in dem Roman eine wichtige literarische Funktion tragen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2021). 'Fractality and Variability in Canonical and Non-Canonical English Fiction and in Non-Fictional Texts'. Frontiers in Psychology 12
    Mohseni, Mahdi, Volker Gast & Christoph Redies
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3389/fpsyg.2021.599063)
  • (2022). 'Approximate Entropy in Canonical and Non-Canonical Fiction'. Entropy 24/2 (278)
    Mohseni, Mahdi, Christoph Redies & Volker Gast
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3390/e24020278)
  • (2022). ‘“The flow of language it is. The thoughts”: On Time and Thoughts and Movement in Ulysses.’ James Joyce Quarterly 59.1
    Mészáros, Tímea & Dirk Vanderbeke
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1353/jjq.2021.0038)
 
 

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