Detailseite
Projekt Druckansicht

Die Herausbildung nicht-staatlicher Formen politischer Herrschaft in Grenzgebieten des heutigen Afrika

Fachliche Zuordnung Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung Förderung von 2006 bis 2014
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 35797442
 
Erstellungsjahr 2014

Zusammenfassung der Projektergebnisse

In den Grenzregionen afrikanischer Staaten entstehen auf lokaler Ebene neue politische Ordnungen. Hier können die Beziehungen zwischen Zentralstaat und lokalen politischen Ordnungen als Verflechtungsverhältnisse unterschiedlicher, gegebenenfalls auch konfliktiver politischer Organisations- und Ordnungsvorstellungen begriffen werden, die Ausgangspunkte spezifischer Innovationsprozesse sind. Diese begründen eine Ordnung, die in den Untersuchungsgebieten als neotribale Wettbewerbsordnung bezeichnet wird. In dieser Ordnung werden nicht-staatliche mit staatlichen Logiken und Handlungspraxen verschmolzen. Das eigentliche Momentum der lokalen politischen Kultur besteht in der Konkurrenz nicht-staatlicher Assoziationen um die Aneignung von Staatlichkeit. Grenzländer scheinen als Bühne für solche neuartigen politischen Prozesse besonders geeignet zu sein, indem sie den jeweiligen Grenzbevölkerungen politische Chancen und ökonomische Vorteile eröffnen. Zwar fordern grenzübergreifende nicht-staatliche politische Prozesse staatliche Souveränität, Territorialität und Staatsbürgertum heraus, das heißt aber nicht, dass sie damit notwendigerweise Staatlichkeit unterwandern oder gefährden müssten. Die genaue Untersuchung lokaler Aneignungsprozesse von Staatlichkeit und der damit verbundenen (politischen) Innovationen verspricht eine neue Perspektive zur Theorie lokaler Herrschaft in Afrika. Das Vorhaben war von Beginn an auf die Forschung in zwei Grenzregionen afrikanischer Staaten (Ägypten - Libyen; Mali - Algerien) ausgerichtet. Dieses Forschungsdesign hat sich sowohl in Bezug auf die Forschungsergebnisse als auch in Bezug auf die aktuelle akademische Debatte als fruchtbringend erwiesen. Soweit sie nicht schon im Erstantrag aufgegriffen wurde, fassen wir die für unsere Forschung relevante Debatte zu Grenze und Grenzland („borderlands") im Folgenden zusammen. Entgegen der Perspektive, die afrikanische Grenzländer als Konfliktarenen zwischen Rebellenbewegungen und Zentralregierungen wahrnimmt oder sich auf Flüchtlingsströme konzentriert, hat die rezente wissenschaftliche Debatte eine bemerkenswerte Richtung genommen, die auf neuartigen Forschungsergebnissen und innovativen Beiträgen beruht. In der klassischen Studie Igor Kopytoffs über ,Afrikanische Grenzen' (1987) wurden Grenzländer weitestgehend als abhängige Variablen der metropolitanen Zentren afrikanischer Staaten betrachtet. Gegenwärtig werden Grenzländer von Autoren wie Meagher (2001) und Nugent (2004) jedoch vor allem als „produktive Zonen" diskutiert, die ihrerseits nicht unbeträchtlichen Einfluss auf die Metropolen entwickeln. In diesen produktiven Zonen finden signifikante ökonomische Wachstumsprozesse statt, wie Dobler (2007) am Beispiel des Grenzlandes zwischen Namibia und Angola und Zeller (2007) in einer Studie zum namibisch-sambischen Grenzland zeigen. Die Grenzländer sind jedoch auch die Bühne für neuartige politische Prozesse. Es wird etwa argumentiert, dass die Existenz von Staatsgrenzen nicht in erster Linie mit Problemen verbunden ist; vielmehr wird eine Perspektive vorgeschlagen, Grenzen und Grenzländer auch als politische Chance und ökonomischen Vorteil für die jeweiligen Grenzbevölkerungen zu sehen. Das Zusammenspiel von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren bei der Konstitution von Grenzländem ist aus der Sicht von Paul Nugent in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse. Zwar fordern grenzübergreifende nicht staatliche politische Prozesse staatliche Souveränität, Territorialität und Staatsbürgertum heraus, das heißt aber nicht, dass sie damit notwendigerweise Staatlichkeit unterwandern oder gefährden müssten. Im Falle des nichtstaatlichen Gewohnheitsrechtes ('urf) im ägyptisch-libyschen Grenzgebiet, kann man neben der transethnischen und transnationalen auch von einer internationalen Streitregelungsordnung sprechen, da die Streitregelung durch nicht-staatliche Rechtsordnungen auch zum Rechtsfrieden zwischen den Bürgern zweier oder gar mehrerer Staaten beiträgt. Eine der zentralen Hypothesen des Erstantrages war, dass sich jede Form politischer Organisation mit dem Modell „generalisierter Staatlichkeit" auseinandersetzen muss. Diese These lässt sich vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse zunächst bestätigen. Unsere Forschungen zeigen jedoch, dass die Durchsetzung bestimmter Ordnungsvorstellungen im Wesentlichen auf lokaler Ebene entschieden wird. An der von uns thematisierten „Neotribalen Wettbewerbsordnung" etwa kann deutlich werden, dass dabei sowohl auf globale als auch auf lokale Ordnungsmodelle Bezug genommen wird.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • 2008, "Emerging Forms of Power in Contemporary Africa - a Theoretical and Empirical Research Outline", Diskussionspapiere 101, Berlin: Klaus Schwarz Verlag
    Hüsken, Thomas / Klute, Georg
  • 2008, "Tracing Emergent powers in Contemporary Africa - Introduction", Bellagamba, Alice / Georg Klute (eds.), Beside the State. Emergent Powers in Contemporary Africa, Köln: Köppe: 7-21
    Bellagamba, Alice / Klute, Georg
  • 2008, Beside the State. Emergent Powers in Contemporary Africa, Köln: Köppe
    Bellagamba, Alice / Klute, Georg (eds.)
  • 2009, Stämme, Staaten und Assoziationen - Beduinische Politik im ägyptisch-libyschen Grenzland, Diskussionspapiere 104, Berlin: Klaus Schwarz Verlag
    Hüsken, Thomas
  • 2009, „Die neotribale Wettbewerbsordnung in Grenzland von Ägypten und Libyen", Sociologus 2/2009: 117-143
    Hüsken, Thomas
  • 2010, "Emerging Forms of Power in Two African Borderlands". Journal of African Borderland Studies, JBS 25.2, Special Issue: From Empiricism to Theory in African Border Studies: 107-123
    Hüsken Thomas / Klute, Georg
  • 2011, "Introduction: Violence and Local Modes of Conflict Resolution in Heterarchical Figurations", Klute, Georg / Embalo, Birgit (eds.), The Problem of Violence. Local Conflict Settlement in Contemporary Africa, Köln: 1 -27
    Klute, Georg / Embalo, Birgit
  • 2011, The Problem of Violence. Local Conflict Settlement in Contemporary Africa, Köln: Koeppe
    Klute, Georg / Embalö, Birgit
  • 2011, „Erhebe dein Haupt. Der Ethnologe Dr. Thomas Hüsken berichtet aus Ägypten und Libyen", UBT Aktuell. Nachrichten aus der Universität Bayreuth, Nr. 2/ Mai 2011
    Hüsken, Thomas
  • 2011, „Politische Kultur und die Revolution in der Cyrenaika", Edlinger, Fritz (Hg) Libyen: Hintergründe, Analysen, Berichte, Wien: Promedia Verlag: 47-71
    Hüsken, Thomas
  • 2011, „Stämme, Räterepublik und die Revolution", Afrika Post, Magazin för Politik, Wirtschaft und Kultur, 2/2011/Juni, 12-13
    Hüsken, Thomas
  • 2012, "Tribal Political Culture and the Revolution in the Cyrenaica of Libya", Orient, German Journal for Politics. Economics and Culture of The Middle East, 1/2012: 26-31
    Hüsken, Thomas
  • 2013, "African Political Actors in 'Ungoverned Spaces': Towards a Theory of Heterarchy", Klute, Georg / Peter Skalnik (eds.), Actors in Contemporary African Politics, Berlin, Münster, Wien, Zürich: 1-24
    Klute, Georg
  • 2013, "Post-Gaddafi Repercussions in Northern Mali", Strategic Review for Southern Africa, Volume 35, No. 2: 53-67
    Klute, Georg
  • 2013, "Tribes, Revolution and Political Cuhure in the Cyrenaica Region of Libya", Bouzian, Malika, Härders, Cilja, Hoffmann, Anja (eds.). Local Politics and Contemporary Transformations in the Arab World, London: Palgrave-Macmillan: 214-231
    Hüsken, Thomas
  • 2013, Actors in Contemporary African Politics, Berlin, Münster, Wien, Zürich: Lit
    Klute, Georg / Peter Skalnik
  • 2013, „Post-Gaddafi Repercussions, Global Islam or Local Logics?", Koechlin, Lucy / Till Förster (eds.), Mali - Impressions of the current crisis Mali - impressions de la crise actuelle, Basel Papers on Political Transformations No. 5, Basel: 7-13
    Klute, Georg
  • 2013, „Separatistische Bestrebungen der Tuareg in Mali", Hofbauer, Martin / Philipp Münch (Hg.), Wegweiser zur Geschichte Mali, Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh: 123-138
    Klute, Georg / Baz Lecocq
  • 2013, „Tuareg Separatism in Mali", International Journal: Canada's Journal of Global Policy Analysis
    Lecocq, Baz / Georg Klute
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1177/0020702013505431)
  • "Tuareg Separatism in Mali and Niger", Kap. 2, in: Lotje de Vries, Pierre Englebert, Mareike Schomerus (eds.), Secessionism in African Politics: Aspiration, Grievance, Performance, Disenchantment. (Palgrave Series in African Borderlands Studies). Springer International Publishing, 2019 (vermutl. für Papierdr.). Electronic ISBN: 978-3-319-90206-7 (2018, zugangsbeschränkt)
    Klute, Georg / Lecocq, Baz
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung