Hochpräzise Erfassung stark gekrümmter Oberflächen durch neigungsabhängige dynamische Sensornachführung mittels rotatorischer Festkörpergelenke
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In diesem Forschungsvorhaben wurde das Verfahren der dynamischen rotatorischen Sensornachführung realisiert, getestet und dessen messtechnische Vorteile bewertet. Bei der Messung von gekrümmten Oberflächen mit taktiler Profilometrie kommt es zu einer winkelabhängigen Messabweichung durch Auswanderung des Kontaktpunkts zwischen konischer Spitze und Oberfläche, abweichend vom erwarteten Kontaktpunkt. Betroffene Messaufgaben umfassen Schneidkanten, optische Linsen und Mikrolinsen sowie funktionale Oberflächen. Die resultierende oberflächenwinkelabhängige Messabweichung wird durch die Sensornachführung deutlich gesenkt und der erfassbare Winkelbereich erweitert. Bestehende Lösungen zur Senkung des Problems setzen eine nachträgliche Datenfusion vieler Messungen unterschiedlicher Winkel ein oder kompensieren die Spitzenform rechnerisch bis zu einem begrenzten Grad. Die Messung mit Sensornachführung erfolgt hingegen zeitsparend während einer einzelnen Messung und liefert das Oberflächenprofil ohne nachträgliche Aufbereitung. Zur theoretischen Untersuchung des Verfahrens auf Basis der Wechselwirkung zwischen einem taktilen Sensor und einer Oberfläche wurde eine Simulationsanwendung entwickelt und eingesetzt. Anhand von Teststrukturen, die gekrümmte Oberflächen und Strukturen mit hohen Aspektverhältnissen aus der Praxis abbilden, wurde das Verfahren untersucht. Es kamen für die Rotation entwickelte Nachführstrategien zum Einsatz, basierend auf Vorwissen, Analyse oder Extrapolation des Profilverlaufs. Die Ergebnisse der Simulationen zeigen die – je nach Profilverlauf und Tastelement – z.T. erheblichen zu erwartenden Verbesserungen der Abbildungstreue durch die Sensornachführung, sowie die Bereiche der Messobjekte, in welchen die Sensornachführung besonders nutzbringend ist. Zusätzlich konnten Ergebnisse abgeleitet werden, welche besondere Beachtung bei der praktischen Umsetzung des Messverfahrens verdienen, wie die Möglichkeit des Aufschwingens des Systems bei ungünstiger Parameterwahl und Anwendung vorhersagender Nachführstrategien. Als Basis einer praktischen Umsetzung wurde ein Nanopositionier- und Nanomessgerät vom Typ SIOS NMM-1 genutzt mit einer Achsauflösung von 0,1 nm. Mehrere kinematische Ketten zur Realisierung einer Rotation des Sensors um seinen Arbeitspunkt wurden hinsichtlich der erzielbaren Wiederholpräzision verglichen sowie in der Praxis getestet. Die Kinematik sollte ersten Plänen nach mit Festkörpergelenken in ihrer Führungsgenauigkeit unterstützt werden. Nach eingehender Recherche und Berechnungen wurde hingegen eine gewinkelte Stapelung zweier Rotationskinematiken gewählt, die eine bessere Genauigkeit erwarten ließ. Der installierte Sensor, der zur besseren Implementierung des Verfahrens auf quasitaktiler Basis gewählt wurde, kann mit der konstruierten Kinematik Oberflächen in einem Bereich von +/-90° orthogonal antasten. Zur Steigerung der Genauigkeit der Kinematik wurde zusätzlich ein in-situ Kalibrierkonzept auf Basis des quasi-taktilen Sensors genutzt, um systematische Abweichungen der Rotationskinematik zu kompensieren. Durch Verwendung des Kalibrierkonzepts konnte der Sensor über den Rotationsbereich mit einer Spannweite der Ortsabweichung PLTE von +/-69 nm in Richtung des Profilschnitts positioniert werden. Quer dazu wurde +/-50 nm und in der Höhenachse +/-43 nm realisiert, was die technische Basis für die Anwendung des Verfahrens sicherstellt. Die praktische Anwendung des Rotationsprinzips bestätigte dessen Effektivität. Die Messabweichung gegenüber einer klassischen Messung konnte bei einer kalibrierten Kugel in der Praxis um 99% gesenkt werden und der erfassbare Winkelbereich auf +/-90° erhöht werden. Unter Berücksichtigung der Messabweichung durch die Positioniergenauigkeit der Rotationskinematik ist ein Einsatz des Prinzips schon ab einstelligen Grad Oberflächenneigung sinnvoll, auf dem Kugeldemonstrator ab 1,5°. Durch Verwendung der Nachführung mit bestehenden Sensoren können gekrümmte Werkstücke und Flächen mit hohen Aspektverhältnissen erstmalig direkt ohne Nachbearbeitung vollständig erfasst werden. Die dynamische rotatorische Sensornachführung kann zur Erweiterung des messbaren Oberflächenwinkelbereichs sowohl für taktile, als auch optische Tastsysteme eingesetzt werden. Vor allem bei optischen Tastsystemen besteht aufgrund des meist geringen Messwinkels erhebliches Entwicklungs- und Verbesserungspotenzial. Die Grundlagenuntersuchungen zur Ermittlung der Praxistauglichkeit dynamischer Sensornachführung wurden für eine taktile Oberflächenmessung erfolgreich durchgeführt und die Projektziele in vollem Umfang erreicht. Zur Übertragung der Erkenntnisse aus dem Projekt sollte in Folgearbeiten die Untersuchung der Anwendbarkeit des aufgezeigten Ansatzes mit weiteren Sensoren der Mikro- und Nanomesstechnik kombiniert werden, insbesondere optische Sensoren.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Enhanced measurement of steep surfaces by sensor tilting. In: 56tes Internationales Wissenschaftliches Kolloquium, 12.-16.09.2011, Ilmenau, Deutschland
Weckenmann, A., Schuler, A. und Ngassam, R.J.B.
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A setup for dynamic sensor rotation for high aspect ratio microstructure measurements. In: 10th international scientific conference “Coordinate Measuring Technique”, 23.-25.4.2012, Bielsko-Biala, Polen
Schuler, A., Weckenmann, A. und Hausotte, T.
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Application of sensor tilting for enhanced measurement of microstructures. In: 12th CIRP Conference on Computer Aided Tolerancing, 18.-19.04.2012, Huddersfield, England
Weckenmann, A. und Schuler, A.
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Aspects of micro-tactile dynamic sensor tracking. In: Int. J. Nanomanufacturing 8(5/6) (2012), S. 450-466
Weckenmann, A. und Schuler, A.
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Enhanced measurement of high aspect ratio surfaces by applied sensor tilting. In: Proceedings of the 20th IMEKO World Congress “Metrology for Green Growth”, 09.-14.09.2012, Busan, Südkorea
Schuler, A., Weckenmann, A. und Hausotte, T.
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Enhanced measurement of steep surfaces by slopeadapted sensor tilting. In: Meas. Sci. Technol. 23 (2012)
Weckenmann, A., Schuler, A. und Ngassam, R.J.B.