Exaptation in der Nominalflexion frühmittelenglischer Dialekte
Einzelsprachwissenschaften, Historische Linguistik
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Altenglisch ist eine stark flektierende Sprache mit drei Genera, fünf Kasus, zwei Numeri und vielen Flexionsklassen. Vom Altenglischen zum Mittelenglischen werden große Teile dieses Systems abgebaut. Sehr vereinfacht ausgedrückt, fokusierte die bisherige Forschung auf den Abbau von Flexion, der zumindest teilweise durch die Syntax verursacht wurde (z.B. durch eine festere Wortabfolge). Der Abbau von Flexion ist jedoch kein linearer Prozess. Beobachtet man die englische Sprache über mehrere Jahrhunderte, ist ein Abbau in der Flexion festzustellen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass morphologisches Material in der Zwischenzeit reanalysiert werden kann und neue Flexionssysteme entstehen (auch wenn diese nur für einen relativ kurzen Zeitraum bestehen). Ziel dieses Projekts ist es, den Wandel in der Flexionsmorphologie des Frühmittelenglischen genauer zu untersuchen und zu prüfen, ob neue Systeme entstehen. Dabei wird vorwiegend auf die Substantivflexion fokusiert. Es sollen sowohl morphologischen wie auch dialektologischen Fragen nachgegangen werden, die auf zwei Hauptfragen heruntergebrochen werden können: a) Welches morphologische Material wird reanalysiert und welche grammatischen Kategorien werden kodiert?; b) Reanalysieren die frühmittelenglischen Dialekte auf unterschiedliche Weise, entstehen unterschiedliche Systeme und breiten sich diese Systeme geografisch aus? Als Datengrundlage dient das Korpus LAEME (Linguistic Atlas of Early Middle English). Eine Auswahl an Resultaten wird in der Folge zusammengefasst. Plural: Generell wird davon ausgegangen, dass in nördlichen frühmittelenglischen Dialekten der Plural von Substantiven mit dem Suffix -s markiert wird, in südlichen frühmittelenglischen Dialekten mit -n. In diesem Projekt konnte gezeigt werden, dass es mehr Areale gibt, dass -n als Pluralmarker vor allem in den South-West Midlands und im Feminin vorkommt. Des Weiteren breiten sich sowohl das s-Areal als auch das n-Areal aus. Substantivsuffix -n: Das Suffix -n kommt in manchen südlichen Dialekten im Plural von Subjekten und indirekten Objekten wie auch in Substantiven nach Präpositionen vor, wo im Altenglischen andere Suffixe verwendet werden. Dieses Suffix wurde also reanalysiert. Es wird gezeigt, dass es sich dabei jedoch um zwei unterschiedliche Wandelprozesse handelt, die voneinander unabhängig sind. Dies bedeutet auch, dass das -n für Subjekte und direkte Objekte und jenes nach Präpositionen einen verschiedenen Ursprung haben muss. Es wird argumentiert, dass -n für Subjekte und direkte Objekte auf die altenglische schwache Flexion und jenes nach Präpositionen auf das altenglische Dativ Plural Suffix -um zurückgeht. Genus: Es wird angenommen, dass Genus relativ früh abgebaut wird. In diesem Projekt wird gezeigt, dass auch dieser Prozess nicht linear verläuft und sogar gegenteilige Tendenzen in drei Dialektgebieten im Süden gefunden werden. Aus synchroner Sicht kann festgestellt werden, dass die große Mehrheit der Feminina auf einen Vokal (e) auslautet (über 90%), während die Mehrheit der Maskulina und Neutra auf einen Konsonanten endet (80-90% für die Neutra, 2/3 für die Maskulina). Diachron kann beobachtet werden, dass im Altenglische auf Vokal endende Substantive (alle Genera) auch im Frühmittelenglischen auf einen Vokal auslauten. Daselbe gilt für auf Konsonanten endende Maskulina und Neutra, deren Stamm sich im Frühmittelenglischen nicht gewandelt hat. Es ist also kein Wandel zu beobachten. Ganz anders sieht die Situation der Femininsubstantive aus: Über 90% der im Altenglischen auf Konsonanten endenden Feminina enden auf einen Vokal im Frühmittelenglischen. Vereinfacht ausgedrückt ist e also zu einem Femininmarker geworden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2020) Analogy, reanalysis and exaptation in Early Middle English: the emergence of a new inflectional system. English Language and Linguistics 24 (1) 123–152
Baechler, Raffaela
(Siehe online unter https://doi.org/10.1017/S1360674318000333) - The distribution of the definite article in Early Middle English: Explaining the variation, in Fabienne Toupin and Brian Lowrey (eds.). Studies in Linguistic Variation and Change 3. Cambridge Scholars Publishing 2020. xiv, 179 S.
Raffaela Baechler