VAS - Vor Augen Stellen. Bildliche Kommunikation jenseits der Dichotomie von Sprache und Bild
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Forschungsergebnisse des interdisziplinär angelegten DFG-Netzwerks zu den Verfahren des Vor-Augen-Stellens in Mittelalter und Früher Neuzeit sind zum Ende der Laufzeit im Oktober 2021 beim Reichert-Verlag erschienen. Im Zentrum des Bandes stehen mit der Veranschaulichung und der Verlebendigung zwei in den Schwesternkünsten Malerei und Dichtung omnipräsente Darstellungsverfahren, die in ihrem Zusammenspiel und fächerübergreifend bislang noch nicht forschungsrelevant waren. Der Fokus der germanistischen und kunsthistorischen Studien ruht auf dem Vor-Augen-Stellen als einer Aktualisierung und Verlebendigung abstrakter bzw. medial nicht darstellbarer Sachverhalte und er ruht auf den technischen Darstellungsmitteln selbst sowie den rezeptiv bedeutungsstiftenden Wirkungsweisen, schreitet damit sowohl die Bedingungen der Kunstproduktion als auch jene der Kunstrezeption und Kunstwirksamkeit ab. Das Vor-Augen-Stellen gehört zu einer die Schwesternkünste verbindenden rhetorischen Praxis, die durch Dikta wie das ut pictura poiesis ebenso wie durch Ekphrasis- und Paragonedebatten bis in die Renaissance hinein bestimmt war. Für die christlich geprägte vormoderne Kunstproduktion waren es somit vor allem Rhetorik und Wahrnehmungstheorie, die mentale Muster und Techniken für eine analoge Text- und Bilddeutung anboten. Entsprechend sind die Verfahren in beiden Künsten rhetorisch, mnemotechnisch und diagrammatisch geprägt, so dass wahrnehmungs-, imaginations- und gedächtnisgeschichtliche Aspekte ineinander spielen. Vor dem Hintergrund der rhetorischen Ausrichtung ist das Darstellungsverfahren der sub oculos subiectio auch ein Erkenntnisverfahren mit sinnlich-rationaler Wirkung. Die genannten neun Studien zu Veranschaulichung und Verlebendigung und die fünf Studien zu den historisch semantischen Dimensionen der beiden Modi bearbeiten ein breites mediengeschichtliches Spektrum, das von mittelalterlichen Bilderhandschriften, frühneuzeitlichen Druckerzeugnissen, der Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts bis zu literarischen Texten aus den Bereichen der höfischen Epik, der Sangspruchdichtung und des weltlichen Spiels reicht. Neben dem Bemühen um eine gemeinsame Sprache jenseits der Dichotomie der beiden Fächer konnten auf einer breiten Materialbasis neue Perspektiven für eine Entschlüsselung sprachlich und piktural erzeugter Anschaulichkeit und Lebendigkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit aufgezeigt werden, der immer wieder auch eine Nähe zum Performativen attestiert werden konnte.