Born from the spirit of movement. Aleksandr Tairov's Chamber Theatre in Moscow in an area of tension between Russia and the West
Final Report Abstract
Die Monografie beschäftigt sich mit den theatertheoretischen Entwürfen und der theaterpraktischen Arbeit von Aleksandr Tairov (1885-1950), einer der Schlüsselfiguren der russischen und europäischen Theaterreformbewegung und des künstlerischen Leiters des Moskauer Kammertheaters. Anhand des umfangreichen Archivmaterials führt sie den Leser durch alle Phasen des Schaffens des „russische[n] Reinhardt“, von dem Gründungsjahr seiner Bühne, 1914, bis zu ihrer Auflösung per Beschluss des Zentralkomitee der Kommunistischen Partei im Jahre 1949. Im ersten Teil der Arbeit, die zeitlich zwischen 1914 und 1927 angesiedelt ist, wird die eigentümliche, auf den Schauspieler, dessen Körper wie eine „Stradivari“ „zur Wiedergabe komplizierter Tongebilde“ geeignet sein sollte, zugeschnittene Theaterästhetik Tairovs in der russischen Theaterlandschaft jener Zeit verortet und vor dem Hintergrund anderer zukunftsweisender Theaterentwürfe, wie etwa des von Vsevolod Mejerchol’d, positioniert. Anschließend wird sie im Hinblick auf die Korrespondenzen zu den Bühnenreformvorschlägen und impulsreichen raum- und körperästhetischen Visionen anderer namhafter westeuropäischer Theatermacher diskutiert, wobei das Augenmerk auf das innovative Potenzial des Tairov’schen Konzeptes gerichtet wird. Die 1927 in Gang gesetzte und 1934 praktisch abgeschlossene Stalinisierung der Sowjetunion setzte dem Pluralismus im sowjetischen Theater und in der Kunst ein Ende. Wie in Deutschland nach der Machtergreifung Hitlers wurde auch in der Sowjetunion unter Stalin die Kunst der Avantgarde als „entartet“ ‒ obwohl hier der Ausdruck „volksfremd“ benutzt wurde ‒ begriffen, und die meisten avantgardistischen Künstler verschwanden in den Gulags oder wurden wie Mejerchol’d hingerichtet. Der zweite Teil der Monographie legt ihren Fokus auf die Inszenierungen Tairovs aus den letzten zwei Dekaden des Bestehens des Kammertheaters, auf die Zeit des Hochstalinsimus also, in der die Fahndung nach den „Verschwörern“, „Schädlingen“ und „fremdländischen Spionen“ paranoide Züge angenommen hatte. So versteht sich die Monografie als erster deutschsprachiger theaterwissenschaftlicher Beitrag zur Erforschung des Theaters in der Sowjetunion der Stalinistischen Epoche.
Publications
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„Sprechende Gesten, farbig malende Klänge, tanzende Gewänder. Auf den Spuren der Entwicklung der intermedialen Ästhetik im russischen Theater des frühen 20. Jahrhunderts“, in: Klänge in Bewegung. Spurensuchen in Choreographie und Performance. Tanzforschung 2017, hrsg. v. Sabine Karoß u. Stephanie Schroedter, S. 73-83
Swetlana Lukanitschewa
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„Wenn die Flöte Hamlets kritisieren könnte. Kritik als Theater in der Sowjetunion der 1930er Jahre“, in: Theater als Kritik, hrsg. von Gerald Siegmund et al., Transcript Verlag 2018, S. 375-384
Swetlana Lukanitschewa