Begriffe in Arbeit: Naturwissenschaftliche Begriffsdynamik im Fall der Forschungen zu multiplen und wechselwirkenden Galaxien (1925-1980)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Projekt ging es um die Dynamik der Wissensentwicklung in der astrophysikalischen Forschung des 20. Jhs. Unser bisheriges, überwiegend von Rückblicken der Beteiligten (participant history) geprägtes Bild betont insbesondere die Diskontinuitäten der Entwicklung, die auf unerwarteten, durch technologische Innovationen ausgelösten Entdeckungen basieren. Astrophysikalische Konzepte hingegen (etwa ‚Schwarze Löcher‘) gelten eher als Konstanten, die diese abrupten Veränderungen überdauerten. Die Studie stellt dieses Bild für den Fall der Galaxienforschung kritisch in Frage und bietet zum ersten Mal überhaupt einen Einblick in die langzeitliche Entwicklung dieses Forschungsgebietes. Der Schwerpunkt lag auf der Entwicklung und Dynamik der Kernbegriffe in den Forschungen zu multiplen und interaktiven Galaxien (MIG) (1925-1980) und damit eines Forschungsstranges, aus dem zentrale Impulse u.a. für das spätere Verständnis von Galaxienevolution entstanden. Zentral waren dafür die wegweisenden Beiträge schwedischer und sowjetischer Astronomen. Zum Verständnis der Begriffsdynamik sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene nahm das Projekt methodisch einen zweifachen Zugriff: Zum einen in vier ‚klassischen‘, auf das Detailverständnis der Wissensgenerierung zielenden Fallstudien, zum anderen in der computergestützten Erstellung und Analyse von fünf chronologisch aufeinanderfolgenden Kozitationsnetzwerken. Die Erkenntnistheorie Ludwik Flecks mit ihrem Schwerpunkt auf kollektive Forschungsdynamiken diente der Studie als Leitlinie. Sie wurde um bibliometrische bzw. szientometrische Konzepte aus den Bereichen der angewandten Informationswissenschaften bzw. KO (Knowledge Organization) erweitert. In den Fallstudien wurde in scharfen Konturen deutlich, wie sich zentrale Begriffskonstellationen in den Arbeiten der einzelnen Autoren entwickelten und anschließend von anderen umgedeutet und in neue Begriffskonstellationen integriert wurden. Es ergab sich ein Bild schrittweiser Transformationen, die gleichwohl nicht durch ein einzelnes übergeordnetes, sondern durch mehrere unterschiedliche Forschungsziele bestimmt wurden. In der Netzwerkanalyse wurden komplementär und großmaßstäblich die Strukturveränderungen im Autoren- und Themengefüge erkennbar. Mikro- und Makroperspektive ergänzten und bereicherten sich gegenseitig und führten zu einem tiefen Verständnis der Wissensdynamik, das über den konkreten Fall hinaus auch allgemeinere Charakteristika deutlich macht. Schließlich wurde im Rahmen des Projekts ein quelloffenes und frei zugängliches System inkl. software entwickelt, das es erlaubt langfristig und kostenfrei auf Basis der ADS Datenbank Zitationsnetzwerke zu generieren und zu visualisieren.