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Typologie des Subjekts in der russischen Dichtung der Jahre 1990-2010

Fachliche Zuordnung Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Kulturwissenschaft
Förderung Förderung von 2015 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 273130507
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das bilaterale deutsch-russische Projekt (DFG / RGNF) „Typologie des Subjekts in der russischen Gegenwartsdichtung 1990-2010“ (2015-2018) wurde in Kooperation der Slavistik der Universität Trier mit dem Institut für Sprachwissenschaft der Russischen Akademie der Wissenschaft Moskau durchgeführt (deutsche Leitung: Henrieke Stahl, russische Leitung: Svetlana Bochaver). Das Projekt widmete sich der Erforschung der terra incognita der neusten russischen Gegenwartsdichtung anhand der Kategorie des Subjekts mit vergleichendem Ausblick auf andere Literaturen. Das Subjekt galt im Zuge der Nachwirkungen von Dekonstruktion und Postmodernismus in der europäischen Lyriktheorie weithin als obsolet (z.B. bei R. Zymner). Denn die spätestens seit Hegel auch in der Theorie und Ästhetik kodifizierte Vorstellung vom Subjekt als zentraler Kategorie im lyrischen Gedicht, assoziiert mit dem Ausdruck von Innerlichkeit und der Nähe von Ich und Autor, konnte kaum mehr als zutreffend für die Lyrik vor allem seit der Moderne gelten. Ungeachtet dessen entfaltet die neuere Lyrik vielfältige Formen des Ausdrucks von Person und Subjektivität. Das Projekt stellte sich damit zwei Herausforderungen: Einerseits zielte es auf die Entwicklung eines theoretisch fundierten analytischen Beschreibungsinstrumentariums für das Subjekt in der Lyrik, das andererseits für die Erfassung der Formenvielfalt des Subjekts in der neueren Lyrik produktiv gemacht wird. Methodologisch basierte das Projekt auf einem Ansatz im Sinne von ‚croisement‘ (M. Werner), der eine Synergie multilateral und polyperspektivisch zusammengeführter verschiedener Theorien und Methoden anstrebt. Aus diesem Grund arbeitete das Projekt mit einem primär deutsch-russischen und ferner international erweiterten Netzwerk, das einerseits die methodische, theoretische und auch terminologische Vielfalt der verschiedenen Philologien und nationalen Fachdiskurse, andererseits die Kenntnis des weitgestreuten neuen Gegenstandsfelds durch die ProjektteilnehmerInnen nutzbar macht. Workshops und Konferenzen dienten als Plattform für die Zusammenarbeit. Henrieke Stahl brachte ein transzendentalphilosophisch begründetes Modell zur Typologisierung der Formen des Ausdrucks von Subjekthaftigkeit in den internationalen Diskurs ein. Das Modell öffnet sich für Schnittstellen mit anderen Theorien und Methoden wie etwa aus der Narratologie (Wolf Schmid, Peter Hühn), der Linguistik (Natalija Azarova, Natal’ja Fateeva) oder der Philosophie (Tilman Borsche) und Genderforschung (Hélène Cixous) oder Transkulturalität (Anil Bhatti) im Sinne des ‚croisements‘. Es erlaubt die multiplen und auch gegenläufigen oder fluiden Formen von Subjekt im Gedicht zu differenzieren, indem fünf Ebenen des Subjektausdrucks angesetzt werden, die zusammenfallen oder aber sich teilweise oder auch komplett voneinander dissoziieren können: Figur, Sprecher, Textsubjekt, Autor(imago), Relationssubjekt. Auf diesen Ebenen, einzeln und in Kombination, treten Subjektformen auf, die von Dekonstruktion über (scheinbare) Absenz und Substitution durch nichtsubjekthafte und apersonale Ausdrucksformen bis hin zu Spielarten einer mehr oder weniger komplexen Rekonstruktion neben der Fortsetzung alttradierter Muster reichen. Die neuere russische Lyrik neigt einerseits zu einem hochreflektierten elaborierten und theoriebewussten Spiel mit der Auflösung tradierter Subjektformen im Gedicht durch etwa die Hybridisierung mit anderen Genres (Episierung, Dramatisierung) und Medien (visuelle, graphische oder auch digitale Verfahren), andererseits zu Formen eines ‚starken‘, quasiauthentischen Subjekts, welches im Zuge von Neosentimentalismus, politischer Engagierthiert und dem Gedicht als multimedial einsetzbarer Kommunikationsform z.B. in den sozialen Medien seit der Jahrtausendwende entwickelt wird. Im Vergleich mit anderen Literaturen zeigt die russische ein erhöhtes metapoetisch reflektiertes Problembewusstsein für die Subjektkategorie, das die traditionell enge Beziehung zur Autorperson revidiert und auf eine Dehierarchisierung eines übergeordneten Sprechersubjekts und dessen Gleichordnung mit anderen Subjekten zielt. Die deutsche Lyrik tendiert stärker zum Einsatz eines ‚Ich‘, das innerlich ausgehöhlt oder transformiert wird, während die US-amerikanische zu (Autor-)Performanz und/oder Figuralität der Sprecher und zugleich einem polyperspektivischen, multiplen Einsatz von Sprechern und Textsubjekt neigt (paradigmatisch im, so Stahl, neuen Genre der ‚novel in poems‘ [Gedichtroman]). Das Projekt erwies ferner die Produktivität und damit Relevanz bisher nur defizitär vorhandener komparatistischer Forschung zur neueren, durch Transnationalität geprägten Lyrik im internationalen und interdisziplinären Zuschnitt. Diesem Desiderat ist die DFG-Kollegforschungsgruppe FOR 2603 „Russischsprachige Lyrik in Transition“ gewidmet, welche sowohl auf den Ergebnissen als auch dem Forschungsnetzwerk des Projekts zur „Typologie des Subjekts“ aufbaut.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Towards a Historical Typology of the Subject in Lyric Poetry. In: Journal of Literary Theory. 2017. 11(1). 125–135
    Stahl, Henrieke:
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1515/jlt-2017-0014)
  • Субъект в новейшей русскоязычной поэзии – теория и практика. [Das Subjekt in der neueren russischsprachigen Lyrik – Theorie und Praxis.] (Neuere Lyrik. Interkulturelle und interdisziplinäre Studien. Band 4). Berlin 2018
    Herausgegeben von Henrieke Stahl und Ekaterina Evgrashkina
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3726/b14778)
  • The Lyrical Subject in Contemporary Russian Poetry. Special Issue: Russian Literature. Volumes 109–110, (November–December 2019). Pages 1-314
    Henrieke Stahl (ed.)
  • Семиотическая природа смысловой неопределенности в современном поэтическом дискурсе (на материале немецкоязычной и русскоязычной поэзии): Монография. [Evgrashkina, E.: Die semiotische Natur von Sinnunbestimmtheit im Diskurs der Gegenwartsdichtung ...] Berlin et al. [=Neuere Lyrik: Interkulturelle und interdisziplinäre Studien, Band 5]
    Evgrashkina, E.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3726/b15320)
  • Типология субъекта в современной русской поэзии: теоретические основы. [Typologie des Subjekts in der russischen Gegenwartslyrik: theoretische Grundlagen.] In: The Lyrical Subject in Contemporary Russian Poetry. Edited by Henrieke Stahl. In: Russian Literature. Volumes 109–110 (November–December 2019). 1-29
    Stahl, Henrieke
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.ruslit.2019.11.001)
  • Субъект и лиминальность в современной литературе. [Subjekt und Liminalität in der Gegenwartsliteratur.] Bd. 1: Границы, пороги, лиминальность и субъективность в современной русскоязычной поэзии. [Grenzen, Schwellen, Liminalität und Subjektivität ...] (Neuere Lyrik. Interkulturelle und interdisziplinäre Studien. Band 8,1). 401 S. Berlin 2020
    Ekaterina Friedrichs und Henrieke Stahl (Hrsg.)
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3726/b16499)
 
 

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