Priorisierungskriterien in juristischer Perspektive: Interdependenzen und Konkretisierung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Teilprojekt C1 wurden wichtige Kernaussagen hinsichtlich der rechtlichen und regelungssystematischen Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung eines priorisierenden Systems gewonnen. Die relevanten Aspekte der wesentlichen Priorisierungskriterien wurden erstmals im Dialog der jeweils betroffenen Disziplinen, einschließlich der empirischen Ergebnisse, zusammengeführt. Eine grundlegende Analyse der in neun Ländern gesammelten Erfahrungen mit Priorisierung sowie deren systemischer Gestaltung, ihren Fernwirkungen und Interdependenzen mit weiteren Steuerungsmechanismen aus rechtswissenschaftlicher Perspektive legten dabei Funktionsweisen von Priorisierung und systemische Voraussetzungen für das für jede Priorisierung notwendige Entscheidungssystem auf Makro- und Mikroallokationsebene offen. Dessen Einführung in Deutschland hat den erarbeiteten verfassungsrechtlichen Vorgaben zu genügen und zugleich Verwerfungen zwischen den verschiedenen Rechtsgebieten bezüglich der vielschichtigen Wirkungen einer Priorisierung im einfachen Recht zu vermeiden. Eine der größten Herausforderungen bei der Umsetzung priorisierender Systeme wird darin liegen, die gegenläufigen Effekte verschiedener Priorisierungsansätze zu beurteilen und die beabsichtigte Gestaltung der Gesundheitsversorgung mit ihnen abzugleichen. Hierzu gehört neben der Einigung auf Kriterien, die als grundsätzliche Bewertungselemente im Rahmen eines Priorisierungssystems (auch verfassungsrechtlich) in Frage kommen (z.B. Erfolgsaussicht, Evidenz, Kosten-Nutzen-Verhältnis, Nutzen-Risiko-Verhältnis, Dringlichkeit und Alter) auch deren Einbindung in ein multikriterielles Allokationssystem. Es handelt sich um Wertentscheidungen, für deren Gewichtung ein akzeptierter Maßstab noch gefunden werden muss. Dies ist wesentliche Aufgabe eines demokratischen und offenen gesellschaftlichen Diskussionsprozesses. Durch die Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung sowie durch interdisziplinäre Bewertung ausgewählter Kriterien konnten Grundlagen für die Modellierung eines verfassungsrechtlich zulässigen Maßstabes herausgearbeitet werden. Mehr als 600 einschlägige Entscheidungen wurden analysiert und auf einer im Zuge des Forschungsprojekts erstellten öffentlichen Datenbank kategorisiert (www.nikolausbeschluss.de). Als ein grundlegender Systemaspekt bei der Einführung priorisierender Elemente im Gesundheitswesen hat sich auch die Ausgestaltung der möglichen (Arzt-)Haftung der jeweiligen Entscheidungsträger für priorisierende/rationierende Entscheidungen herausgestellt. Verwerfungen zwischen haftungs- und sozialrechtlichen Anforderungen verlangen nach einer Harmonisierung. Sofern gesetztlich Priorisierungsentscheidungen getroffen werden, könnte eine leitlinienbasierte Priorisierung ihrerseits den herzustellenden Gleichklang zwischen den Standards der Medizin, des Sozialrechts, des Strafrechts und des Haftungsrechts erleichtern.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2009). Die Umsetzung des Nikolaus-Beschlusses durch die Gerichtsbarkeit: Fortentwicklung und Widersprüche zu den Vorgaben des BVerfG. In: WzS 2009, 65 ff.
Bohmeier, A., Penner, A.
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(2010). Altersrationierung im Gesundheitswesen: (Un-)Zulässigkeit und Ausgestaltung. In: MedR, 369
Huster, S.
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(2010). Die Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Analyse der rechtlichen Vorgaben. In: MedR, 234 ff.
Huster, S.
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(2010). Engpässe medizinischer Versorgung - Rechtliche Implikationen. In: ZEFQ, 364 ff.
Katzenmeier, C.
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(2011). Arzthaftpflicht in der Krise - Entwicklungen, Perspektiven, Alternativen. In: MedR, 201 ff.
Katzenmeier, C.
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(2011). Der Vertragsarzt zwischen Heilauftrag und wirtschaftlichem Interesse. In: VSSR, 183 ff.
Huster, S.
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(2011). Offen, demokratisch und rechtsstaatlich. Rechtliche Vorgaben einer Priorisierung medizinischer Leistungen. In: Forschung und Lehre, 590 f.
Katzenmeier, C.
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(2011). Strafrechtliche Risiken der impliziten Rationierung medizinischer Leistungen. In: MedR, 131 ff.
Dannecker, G., Streng, A.
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(2011). Ökonomisch motivierte Behandlungsverweigerung in der GKV – Divergenzen zwischen Sozial-, Zivil- und Strafrecht. In: MedR, 704 ff.
Bohmeier, A., Schmitz-Luhn, B., Streng, A.
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(2011): Soziale Gesundheitsgerechtigkeit. Sparen, umverteilen, vorsorgen?, Berlin:Wagenbach (auch erschienen als Band 1249 in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, 2012)
Huster, S.
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(2012). Gesundheits- als Gesellschaftspolitik. In: GGW 12 (2), 24 ff.
Huster, S.
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(2012). Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen einer an den Erfolgsaussichten der Transplantation orientierten Organallokation. In: JZ, 444 ff.
Dannecker, G., Streng, A.
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(2012). Solidarität und Eigenverantwortung – Spannung oder Gleichklang? In: ZEFQ, 106, 195 ff.
Huster, S.
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(2013). Priorisierung in der Medizin – Kriterien im Dialog. Berlin: Springer, Sammelband der Forschergruppe FOR655
Schmitz-Luhn, B., Bohmeier, A. (Hrsg.)
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(2014). Patientenrechte und Arzthaftung - Karlsruher Forum 2013. In: Lorenz (Hrsg.), Schriftenreihe VersR, Bd. 52, Karlsruhe: Verlag Versicherungswirtschaft
Katzenmeier, C.
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(2014). Priorisierung in der Medizin – Erfahrungen und Perspektiven, Berlin/Heidelberg: Springer, Diss. Köln
Schmitz-Luhn, B.
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(2011). Der rechtliche Rahmen für eine Priorisierung von Gesundheitsleistungen. In: Eveline Häusler (Hrsg.), Priorisierung bei Gesundheitsleistungen. Sternenfels: Verlag Wissenschaft & Praxis, 109 ff.
Katzenmeier, C.