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Life Writing of Dissenters in the Soviet Union (1960ies-1980ies)

Subject Area General and Comparative Literature and Cultural Studies
Term from 2014 to 2019
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 263485568
 
Final Report Year 2019

Final Report Abstract

Im Zentrum des Projekts standen in einem Promotionsvorhaben Texte männlicher und weiblicher Andersdenkender, in denen die Erlebnisse und Reflexionen von Sprechern bzw. Erzählern, die mit dem Autor zu identifizieren Leser eingeladen werden, seine Lebensumstände, Handlungen, Überzeugungen, Gefühle etc. über einen Zeitraum hinweg präsentiert werden. Darunter fallen z.B. Autobiografien, Memoiren, aber auch Tage- und Notizbücher sowie dokumentarisch angelegte Berichte, die sich definitorisch nicht trennscharf voneinander abgrenzen lassen. In der englischsprachigen Forschung hat sich als Sammelbegriff für diese Formen der Begriff „Life Writing“ etabliert. In diesen Texten wird implizit oder explizit der Anspruch formuliert, „Welt abzubilden“; das Geschilderte wird als nicht fiktiv präsentiert, hat aber immer ein „Ferment der Unzuverlässigkeit“. Gleichwohl wurde der Wahrhaftigkeitsanspruch, der in vielen der Texte formuliert wird, im Projekt ernst genommen, und zwar indem die Texte als politisch orientierte sprachliche Handlungen gelesen wurden, die Rederecht und Gehör für ausgegrenzte Personen einforderten. Das Life Writing Andersdenkender wurde entsprechend als (plurales) ästhetisches und sozio-kulturelles Phänomen mit einer eigenen Rhetorik (Topoi, Strategien zur Evidenz-Erzeugung etc.) beschrieben. Zusätzlich wurde im Rekurs auf Andreas Reckwitz’ Konzept der Subjektkulturen (Reckwitz 2006) und die von ihm vorgeschlagene Analyse der diese Kulturen prägenden (Alltags-) Praktiken untersucht, wie die in den Texten geschilderten Praktiken in Verbindung mit rhetorischen und stilistischen Mitteln den jeweiligen Selbstentwurf der Autorinnen und Autoren prägen. Das Korpus für die Dissertation umfasste Texte von Dissidenten verschiedenster Ausrichtung, liberaler Intelligenzler, jüdischer Refuseniks, orthodoxer Christen etc.: Ludmilla Alekseyeva / Paul Goldberg The Thaw Generation, Feliks Kandel’s Vrata ischoda našego, Grigorij Pomeranc’ Zapiski Gadkogo Utënka, Memoiren von Andrej Sacharov und Elena Bonnėr, Aleksandr Solženicyns Bodalsja telënok s dubom, Tat’jana Goričevas Die Rettung der Verlorenen, Von Gott zu reden ist gefährlich und Hiobs Töchter, Memoiren von Alla Sariban sowie Andrej Amal’riks Zapiski dissidenta. Die wichtigsten Ergebnisse beziehen sich auf die Felder: (1) Andersdenken als Lebensmodell, (2) Traditionslinien des Andersdenkens, (3) Das Ich und der Staat, (4) Öffentlichkeit und Privatheit. Zu (1) wurden subjektkonstituierende Praktiken bestimmt, die persönliche Netzwerke, Produktion, Rezeption und Distribution von Samizdat, Praktiken des Verbergens, der Arbeit, der Körpergestaltung und spirituelle Praktiken umfassen und in ihrer Gesamtheit helfen, Andersdenken als Lebensmodell zu beschreiben. Zu (2) wurden für die Autor*innen unterschiedliche Traditionslinien herausgearbeitet, über die sie ihrem Schreiben und ihrer gesellschaftliche Position Sinn stifteten. Dabei leitet sich ein Teil der Andersdenkenden (wenngleich gebrochen und auf unterschiedliche Weise) aus der Intelligencija des 19. Jahrhunderts her, im Life Writing werden entsprechende Prätexte transformiert (z.B. Gercens Byloe i dumy). Andere Gruppen greifen auf je unterschiedlich gestaltete religiöse oder heilsgeschichtliche Narrative zurück. Zu (3) Wenngleich Andersdenkende faktisch nie eine totale Isolation vom Staat vollzogen, konstruierten doch alle Narrative, mit denen sie diese rhetorisch konstatierten, wobei (bild-) sprachlich ein breites diskursives Feld zwischen Dämonisierung und Kriegsrhetorik aber auch ironischer Mimikry aufgespannt wurde. Zu (4) Andersdenkende stellten für ihre Belange eine spezifische medial vermittelte Öffentlichkeit her, wobei sie unter anderem für bestimmte Sphären Privatheit einforderten. Westliche Konzepte können hier nur bedingt Anwendung finden. Aushandlungsprozesse konstituierten je spezifische Anliegen und Räume kontextabhängig als öffentlich oder privat.

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