Precarious Retirement. Work and the Conduct of Life of Elderly Women
Final Report Abstract
Die Ursachen für das deutliche Übergewicht an weiblichen Altersarmen liegen in dem an der männlichen „Normalerwerbsbiografie“ ausgerichteten Erwerbsarbeits- und Rentensystem. Auch wenn die spezifisch weiblichen Gefährdungen im Alter seit Langem bekannt sind, so gibt es kaum Studien, die in die Fragilitäten alltäglicher Lebensführung von Rentnerinnen hineinleuchten. Wie leben und wirtschaften Frauen in einer teuren Stadt wie München, wenn die durchschnittliche Erwerbsrente kaum für die Finanzierung einer Einzimmerwohnung reicht? Anhand von biografischen Interviews und teilnehmender Beobachtungen wurde im Rahmen des DFG-Projekts herausgearbeitet, wie allein lebende Frauen im städtischen Umfeld leben und wirtschaften. Das Gros der interviewten Frauen war zum Zeitpunkt der Interviews in den Jahren 2013 bis 2017 zwischen 60 und 75 Jahre alt. Die meisten hatten nur um die 1000 Euro im Monat zur Verfügung und konnten kaum auf Ersparnisse oder private Vorsorge zurückgreifen. Die Interviewten verweisen auf Praktiken und Haltungen, mit denen materiellem Mangel begegnet wird. Dabei zeigte die Analyse, dass die jeweilige Stellung im sozialen Raum mit entsprechend unterschiedlichen Zusammensetzungen von sozialem und kulturellem Kapital (Bourdieu) genauso entscheidend sind für die Entstehung, aber auch Bewältigung von ökonomischem Mangel wie die genderspezifischen und generationalen Dispositionen. Entscheidend war, inwieweit es den Interviewten auch gesundheitlich (noch) möglich war, mit den begrenzten Ressourcen hauszuhalten, zu sparen, genau vorauszuplanen, die Bestände (sofern überhaupt vorhanden) zu schonen und einzuteilen. Neben dieser nachhaltigen Reproduktion in Knappheit findet gelegentlich auch Produktion, etwa von Tauschartikeln für eine informelle Ökonomie, statt. Allerdings zeigen sich hier bei den Möglichkeiten, einen Kleidertausch zu organisieren oder Do-it-yourself-Geschenke herzustellen, die sozialen Unterschiede. Erwerbsarbeit zur Vergrößerung der materiellen Ressourcen und sozialen Netzwerke ist nur bedingt über das Rentenalter hinaus möglich. Altersarmut bleibt ein großes Tabu, Scham und Schuldgefühle, nicht selbst für sich gesorgt zu haben, verhindern vielfach, dass sich die Älteren Hilfe bei den Ämtern holen. Insbesondere auch ihren Familien wollen Betroffene „nicht zur Last fallen“. Hier greift ein einschlägiger öffentlicher Moraldiskurs von der „Altenlast“. In den Interviews zeigten sich Frauen, die trotz ihrer Vulnerabilität und situativer Deprimiertheit und Sorge – wenn wieder eine Mieterhöhung kam oder der Minijob nicht mehr zu bewältigen war – doch auch Zufriedenheit und Anpassungsstrategien an das Alter entwickelt haben. Insgesamt machen es die biografischen Interviews plastisch: Rentenalter, Arbeiter- und Migrationshintergrund, weibliches Geschlecht sowie Singlehaushalte können als besonders armutsgefährdende Faktoren gelten, auch wenn Frauen aus dem Bürgertum prinzipiell nicht verschont bleiben.
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