The politics of history and memory in Vietnam
Final Report Abstract
Vor dem Hintergrund marktwirtschaftlicher Reformen seit den 1980er Jahren, der Öffnung des Landes und des Zusammenbruchs des Sozialismus sollte in diesem Projekt anhand ausgewählter Bild- und Textquellen untersucht werden, inwieweit es in Vietnam zu einer Pluralisierung von Geschichts- und Erinnerungsdiskursen gekommen ist. Die Erkenntnisse, die bei zwei längeren Forschungsaufenthalten in Vietnam und vor allem durch die Analyse vietnamesisch-sprachiger Geschichtszeitschriften und Geschichtslehrbüchern sowie relevanter Websites gewonnen werden konnte, sind ambivalent. Einerseits haben die Untersuchungen haben gezeigt, dass die sozialistische Führung in Vietnam unverändert versucht, durch eine streng kontrollierte Historiographie, Schulbücher, und ikonographische Repräsentationen in Museen oder Gedenkstätten eine orthodoxe Geschichtsversion zu verbreiten. So scheinen staatliche Akteure in Vietnam seit Beginn der Reformpolitik geradezu von einem „Erinnerungsfieber“ erfasst zu sein. Das Beispiel des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit, das in den letzten 15 Jahren durch den Bau von Museen und Erinnerungsstätten einen aufwendigen Geschichtskult betreibt, zeigt, wie stark staatliche Akteure im heutigen Vietnam geschichtspolitisch aktiv sind. Auch dienen Geschichtslehrbücher, die in der vom Konfuzianismus geprägten „Lerngesellschaft“ Vietnams eine wichtige Rolle spielen, nach wie vor als ein elementares Medium für die Popularisierung und Kanonisierung staatlich sanktionierter Geschichtsmythen. Weder in den Lehrbüchern noch in vietnamesischsprachigen Standardgeschichtswerken und Geschichtszeitschriften ließ sich eine grundlegende Neubewertung von Themen der Nationalgeschichte und Weltgeschichte feststellen. Andererseits konnten im Untersuchungszeitraum Erinnerungsdebatten beobachtet werden, die das staatliche Erinnerungsprojekt in Frage stellen und zu einer deutlichen Pluralisierung des Geschichtsdiskurses in Vietnam geführt haben. Z.T. waren diese Debatten durch die massive Verschlechterung der vietnamesisch-chinesischen Beziehungen in Gang gesetzt worden. So forderten vietnamesische Historikerinnen und Historiker eine Revision der Geschichtslehrbücher und eine stärkere Thematisierung der militärischen Auseinandersetzungen mit China seit Ende des zweiten Indochinakrieges. Ebenso ergaben die Untersuchungen, dass im heutigen Vietnam mehr und mehr zivilgesellschaftliche Akteure auf privater Ebene derjenigen gefallenen Soldaten gedenken, die bislang nicht ausreichend im staatlichen Erinnerungsprojekt berücksichtigt worden sind. Dies gilt vor allem für die Soldaten, die für die untergegangene Republik ihr Leben gelassen haben, und zeigt sich in der Restaurierung des früheren größten südvietnamesischen Heldenfriedhofes Biên Hòa. Insgesamt gelingt es der vietnamesischen Führung jedoch immer noch, ihre Geschichtsversion von der Kommunistischen Partei, die das vietnamesische Volk als einzig legitimer politischer Akteur in der Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts von Sieg zu Sieg führte, zu verbreiten und damit das Geschichtsgedenken zu kontrollieren.
Publications
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Großheim, Martin
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Martin Großheim