Stilus curiae. Spielregeln der Konflikt- und Verhandlungsführung am Papsthof des Mittelalters (12.-15. Jh.)"
Final Report Abstract
Das Netzwerk befasste sich mit der Konflikt- und Verhandlungsführung am Papsthof des Hoch- und Spätmittelalters, die – so legten es neuere Forschungen nahe – den Vorgaben eines spezifischen „stilus curiae“ folgten. Schon im ersten Teil der Projektarbeit zeichnete sich ab, dass dieser Terminus in der Geschichtswissenschaft zwar häufig zitiert, bislang aber mit ganz unterschiedlicher Semantik verwendet wurde: in den Historischen Hilfswissenschaften wurde er auf Echtheitskriterien von Papsturkunden, in der Rechtsgeschichte hingegen auf Judikatur und Prozessgebrauch, also die gewohnheitsmäßige Anwendung normativer Ordnungen, bezogen. Kulturgeschichtliche Studien setzten den „stilus curiae“ mit den allgemeinen „Spielregeln“ mittelalterlicher Politik im Sinne G. Althoffs gleich. Die Beiträge der Netzwerkmitglieder, die in einem 2019 erscheinenden Sammelband publiziert werden, reflektieren erstmals diese konkurrierenden Deutungen und weisen auf die Möglichkeit hin, den – in neu erschlossenen Quellen mehrfach belegten – „modus“ kurialer Konflikt- und Verhandlungsführung im kulturgeschichtlichen Sinne vom „stilus“ in Kanzlei- und Gerichtswesen zu differenzieren. Zudem wurde im Rahmen des Netzwerks ein breites Spektrum von Quellen aus verschiedenen Regionen Europas (Italien, England, Iberische Halbinsel, Frankreich, Deutscher Orden) im Hinblick auf die Bedeutung von sozialer Verflechtung, Gabentausch und ostentativen Emotionen diskutiert. Dabei zeigte sich erwartungsgemäß, dass persönliche Kontakte ein wichtiger Faktor für den Erfolg von Verhandlungen an der Kurie des Hoch- und Spätmittelalters waren. Das Geschlecht spielte hingegen eine geringere Rolle, als man vermuten würde; wichtiger erschien bei Verhandlungspartnerinnen ihr (fürstlicher) Stand. Besonders produktiv war im zweiten Teil der Projektlaufzeit die Hinwendung zu „globalgeschichtlichen“ Aspekten des Themas, also zu den bislang wenig beachteten Kontakten der Kurie zu armenischen und äthiopischen Christen sowie dem Il-Khanat der Mongolen. Etwas ambivalent erschienen Geschenke und Geldzahlungen von Konfliktparteien, die nicht nur von Außenstehenden kritisiert, sondern auch von Kanzleimitarbeitern abgelehnt wurden, um das Ansehen der Kurie nicht zu gefährden. Auch ostentative Emotionen ließen sich im Spannungsfeld von Authentizität und Kalkül oft nicht eindeutig einordnen. Deutlicher trat hingegen zutage, dass die lange Dauer kurialer Verhandlungs- und Konfliktführung zwar häufig beklagt, aber dennoch allgemein akzeptiert wurde, was möglicherweise mit der pazifizierenden Wirkung der Verfahren auf die Streitparteien in partibus, also an ihrem Herkunftsort, erklärt werden kann. Im Rahmen des Netzwerks gelang es somit, neue Perspektiven auf die Erforschung des mittelalterlichen Papsttums zu entwickeln. Diese fanden international bereits einige Aufmerksamkeit, was sich im Austausch mit Mitarbeitern des Projekts „Papal Communication and Authority in the Central Middle Ages“ (Aalborg, Dänemark) ebenso zeigte wie bei Einladungen der Netzwerkorganisatoren und weiterer Mitglieder zu Projektvorstellungen an die Rikkyo Universität (Tokio, Japan). Von französischer und kroatischer Seite wurden die Netzwerktreffen gleichfalls mit großem Interesse verfolgt, was zu zwei Sektionen auf der großen European Academy of Religion Ex Nihilo Zero Conference in Bologna führte. Bereits ein Jahr zuvor war das Netzwerk auf dem International Medieval Congress in Leeds vorgestellt worden. Das breite internationale Interesse, auf das das Projekt schon gestoßen ist, lässt auch einen großen Leserkreis für die aus dem Netzwerk hervorgehenden, mehrsprachigen Publikationen erwarten.
Publications
- Der Codex des Rolando Talenti - Abbild eines wahrhaftes “Netzwerkes“ oder Spiegel eines bemerkenswerten Kunstwerkes?, in: Kerstin Hitzbleck und Klara Hübner (Hg.), Die Grenzen des Netzwerkes 1200-1600, Ostfildern 2014, S. 65-92
Jessika Nowak
- Kyokai „kaikaku“ kara shukyo „kaikaku“ he. Seiki-koki chusei ni okeru kyokoken [Von der „Reform“ zur „Reformation“ – Das Papsttum im Hoch- und Spätmittelalter, ins Japanische übersetzt von Shigeto Kikuchi] in: Shien 75 (2015), S. 387-412
Georg Strack
- Pope Urban II and Jerusalem: A Re-Examination of his Letters on the First Crusade, in: The Journal of Religious History, Literature and Culture 2/1 (2016), S. 51-70
Georg Strack
- Conosco lui essere più italiano che francese. Kardinal Guillaume d’Estouteville und der Beginn seiner 1451/1452 nach Frankreich führenden Legation, in: Gabriele Annas und Jessika Nowak (Hg.), Et l’homme dans tout cela? Von Menschen, Mächten und Motiven. Festschrift für Heribert Müller zum 70. Geburtstag, Stuttgart 2017 (Frankfurter Historische Abhandlungen 48), S. 185-209
Jessika Nowak
- Freunde der Bildung? Bildungshunger und Bildungspflege als Faktoren der Papstwahl im Konklave von 1458, in: Rainer Berndt (Hg.), Der Papst und das Buch im Spätmittelalter (1350- 1500): Bildungsvoraussetzung, Handschriftenherstellung, Bibliotheksgebrauch, Münster 2018 (Erudiri sapientia 13), S. 83-109
Jessika Nowak
- Stilus – modus – usus. Regeln der Konflikt- und Verhandlungsführung am Papsthof des Mittelalters. Rules of Negotiation and Conflict Resolution at the Papal Court in the Middle Ages. Turnhout : Brepols, [2019] (Utrecht Studies in Medieval Literacy 44)
Jessika Nowak, Georg Strack (Hg.)
(See online at https://doi.org/10.1484/M.USML-EB.5.117700)