Herkunft und Zugehörigkeit. Fortpflanzung, Abstammung und Verwandtschaft in der postkantianischen Naturphilosophie
Wissenschaftsgeschichte
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ziel des Projekts war es, Konzepte der Fortpflanzung, Abstammung und Verwandtschaft in der nachkantischen Naturphilosophie systematisch zu rekonstruieren und ihrer Bedeutung für die sozialen und kulturellen Transformationsprozesse um 1800 zu erfassen. Gegenstand der Untersuchung waren die naturphilosophischen Entwürfe von Schelling und Hegel sowie insgesamt das Textkorpus der Naturphilosophie. Ausgangspunkt war die begriffs- und diskurshistorische Rekonstruktion des Reproduktionsbegriffs. Es wurde gezeigt, dass dieser Begriff erstens für das Verständnis genealogischer Zusammenhänge – die Sukzession von Generationen –, zweitens für die Konzeptualisierung der Zugehörigkeit zu supra-individuellen Kollektiven wie „Bevölkerung“ und „Rasse“ und drittens für die Artikulation von sexueller Differenz als Polarität konstitutiv ist. Ein zweiter Schwerpunkt der Forschung lag auf der Rekonstruktion der Verwendung des Rassenbegriffs. In diesem Zusammenhang rückte ausgehend von Hegels Kritik an Kants genealogischem Rassenbegriff die Bedeutung von Geographie und Geologie für die nachkantische Naturphilosophie stärker als ursprünglich geplant ins Zentrum. Eine wesentliche Veränderung im Projektverlauf kam durch die Verlagerung des Forschungsprojekts an das Margherita-von-Brentano-Zentrum für Geschlechterforschung der Freien Universität Berlin zustande. Zum einen kam dem Aspekt der Geschlechterverhältnisse dadurch besonders hohe Bedeutung zu. Zum anderen wurde die Auseinandersetzung mit Goethe bedingt durch das Teilprojekt von Gregory Rupik bedeutsamer als geplant. Anhand der Schriften von Carl Friedrich Kielmeyer wurde eine dreigliedrige Struktur der Artikulation von Geschlechterdifferenzen herausgearbeitet, die in einigen Aspekten mit Goethes Position konvergiert und von naturphilosophischen Autoren in unterschiedlicher Weise adaptiert und reartikuliert worden ist. Die Bedeutung naturphilosophischer Entwürfe im Kontext der sozialen und kulturellen Veränderungen von Verwandtschaftsverhältnissen und genealogischem Denken um 1800 wurde anhand von Hegels Schriften, d.h. anhand einschlägiger Passagen aus der Naturphilosophie, der Anthropologie sowie der Phänomenologie des Geistes und der Rechtsphilosophie rekonstruiert. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass um 1800 ein „epistemischer Raum“ der Reproduktion entsteht, in dem unterschiedliche epistemische Strategien und politisch-ethische Positionen konvergieren und sich überlagern.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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„Population, race and gender. On the genealogy of the modern politics of reproduction”. In: Distinktion. Scandinavian Journal of Social Theory 16 (3) 2015, 267-282
Susanne Lettow
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„Rousseau: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen. Erster Teil. Zur Naturgeschichte“. In: Johannes Rohbeck und Liselotte Steinbrügge (Hg.): Jean-Jacques Rousseau. Die beiden Diskurse zur Zivilisationskritik. Reihe: Klassiker auslegen. Berlin: Akademie-Verlag 2015, 83-102
Susanne Lettow
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„Heideggers Politik des Rassenbegriffs. Die Schwarzen Hefte im Kontext“. In: Marion Heinz, Sidonie Kellerer (Hg.): Philosophie und Politik. Überlegungen zu Heideggers Schwarzen Heften. Berlin: Suhrkamp 2016, 234-250
Susanne Lettow
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„Re-Articulating Genealogy. Hegel on Kinship, Race and Reproduction“. In: Hegel Bulletin
Susanne Lettow
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„Gaia’s Power. Earth and History in Modern Philosophical Race Discourse”. In: Critical Philosophy of Race (in der Begutachtung)
Susanne Lettow