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Innovation durch Tradition? Jüdische Bildungsmedien als Zugang zum Wandel kultureller Ordnungen während der 'Sattelzeit'

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2013 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 244602335
 
Erstellungsjahr 2022

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Der von Simone Lässig und Zohar Shavit geleitete Verbund ist der Frage nachgegangen, wie das deutschsprachige Judentum Mitteleuropas die Herausforderungen der Moderne bewältigt hat, denen es sich auch in seinen Kernbereichen – Lernen und Wissen – stellen musste. Die sechs Teilprojekte, von denen die DFG drei gefördert hat, sind von der These ausgegangen, dass historische Kollektive einen so grundlegenden sozialen Wandel, wie ihn das Judentum während der Sattelzeit im deutschsprachigen Europa erlebte, nur dann erfolgreich vollziehen können, wenn Innovation über wirksame Traditionsbezüge vermittelt und kulturell in vertraute Kontexte übersetzt wird. Der Verbund hat diese These am Beispiel von Bildungsmedien des 18./19. Jh. untersucht und in vollem Umfang bestätigt. Den Begriff „Bildungsmedien“ haben die Projektbeteiligten deutlich breiter gefasst, als in der Forschung bislang üblich. Untersucht wurden alle Texte und darauf bezogene Praktiken, die der Vermittlung und Aneignung von Wissen, Werten und Verhaltensnormen dienten. Diese weite Definition, die über spezifische Institutionen des Lernens ebenso hinausreicht wie über Heranwachsende als Adressaten von Bildungsmedien, hat ebenso wie das erkenntnisleitende Konzept Kulturelle Übersetzung dazu beigetragen, der Gleichzeitigkeit traditioneller und neuer Bildungspraktiken und den vielfältigen Kontexten jüdischer Wissensproduktion gerecht zu werden. Die untersuchten Quellen adressierten ein breites Publikum, die Gemeinde als Ganzes (maskilische Bildungsschriften, Predigten, Gesangbücher), vor allem aber Lehrer, Schüler und Eltern (Lehrbücher, Grammatiken). Ein sich wandelndes Erziehungswesen bedurfte neuer Bildungspraktiken, vorangetrieben von einer neuen Lehrergeneration, und es bedurfte auch neuer Lehrmittel, so etwa didaktisch aufbereiteter und an den zeitgenössischen pädagogischen Prinzipien ausgerichteter Texte. Ähnliches galt für die Neugestaltung des jüdischen Gottesdienstes mit deutschsprachiger Predigt und synagogaler Musik. Viele der im Projekt untersuchten Quellen entstammten konkreten praktischen Zusammenhängen, dem Unterricht oder dem Gottesdienst in einzelnen Gemeinden, doch zeugen sie von einem, über lokale Kontexte hinausreichenden Sendungsbewusstsein ihrer Autoren. Diese wollten über Publikationen ihr eigenes Wirken als Lehrer oder Rabbiner, Kantor oder Prediger überregional legitimieren, Reputation aufbauen und sich mit ihrem neuartigen Verständnis von jüdischem Wissen sozial neu positionieren. Überwiegend erfolgreich nahmen sie für sich eine Deutungshoheit in Anspruch, die weit über den konkreten Kreis ihres Wirkens hinausreichte und nicht allein jüdisches Lernen und Lehren betraf, sondern auch die grundsätzliche Frage nach Gehalt und Repräsentationen des Judentums einschloss. In kritischer Auseinandersetzung mit älterer Forschung konnte der interdisziplinäre Verbund aus unterschiedlichen Perspektiven zeigen, dass die neuen jüdischen „Meisterdenker“ von den Debatten ihrer Zeit und damit von protestantischem Denken teilweise stark beeinflusst waren, doch nichtjüdische Konzepte keineswegs affirmativ übernahmen. Vielmehr setzte sich eine neue Generation jüdischer Gelehrter und Intellektueller, Pädagogen und Rabbiner kritisch und eigenständig mit den Idealen der Aufklärung, des Philanthropismus und der zeitgenössischen Theologie auseinander. Im Rückgriff auf vielfältige Modi kultureller Verweisung versuchten sie immer wieder zu belegen, in welch hohem Maße neuartige, dem Judentum scheinbar fremde Ideen und Ideale, Handlungsnormen und Wertvorstellungen mit der jüdischen Tradition korrespondierten bzw. ihr eingeschrieben waren. Mit diesen Analysen und Erkenntnissen spiegelt der Verbund aktuelle Entwicklungen in den Jewish Studies und in bestimmter Hinsicht – etwa in Bezug auf Phänomene kultureller Übersetzung oder den Stellenwert der hebräischen Bibel und Bibelübersetzungen – hat er diese Neuorientierung der Forschung mit angestoßen und vorangetrieben. Als Angebot für die Fachgemeinschaften hat der Verbund eine bio-bibliographische Datenbank zu Bildungsmedien der Sattelzeit und ihren Autoren erstellt, die frei zugänglich ist: http://resources-jewish-education.net.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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