Die Macht der Diener. Hausdienerschaft in hofadligen Haushalten. Preußen, Sachsen und Frankreich, 16.-18. Jahrhundert
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt ging von der Überlegung aus, dass adliges und höfisches Leben wesentlich von der Anwesenheit zahlreicher Dienerschaften geprägt war. Der Fokus lag dabei auf der Hausdienerschaft des Hofadels (mithin: die Diener der Diener des Herrschers) in Brandenburg und Sachsen vom Ende des 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Welche veränderten Perspektiven ergeben sich nun auf Adelshaushalt, Hof und Politik, wenn die Anwesenheit dieser Dienerschaften ernst genommen wird, wenn deren Interaktionen, Wahrnehmungsweisen und Handlungsspielräume im Alltag und nicht die Sicht auf zeremoniell herausgehobene Ereignisse und Personen im Vordergrund stehen? Durch diesen Zuschnitt wurden weitgehend getrennte Forschungsstränge miteinander verbunden: Gesindeforschung, Hof- und Adelsforschung und die Kulturgeschichte des Politischen. In Kombination prosopographischer, sozialhistorischer und historisch-anthropologischer Ansätze konnten somit die sozialen Logiken des Dienens im höfischen Kontext analysiert werden: Der Dienst in adligen Haushalten zeigt sich als distinkte Dienstform, insofern er sich durch lange Dienstzeiten, eine hohe Quote an verheirateten DienerInnen und ein relativ hohes Durchschnittsalter auszeichnete. Neben der Dienstbeziehung zu den Herrschaften – die auch nach Dienstende meist als Klientelbeziehung weitergeführt wurde – haben sich die Beziehungen außerhalb des Haushalts und außerhalb des Dienstes als wesentlich dafür erwiesen, die Funktionsweisen von Adelshaushalt, Hof und Politik zu erklären: Verwandtschaft und Heiratsverhalten, Patenschaft, Nachbarschaft, Freundschaft, Klientelismus. Der Adelshaushalt war über die Dienerschaften eingebettet in und angewiesen auf ein engmaschiges soziales Netzwerk, das von den Herrschaften aber nicht kontrolliert werden konnte. Dieses Netzwerk zeichnet sich zum einen durch eine starke Fragmentierung aus (differenziert nach Geschlecht, sozialer Herkunft und Dienstposition), zum anderen durch deutlich korporativ geprägte, haushaltsübergreifende Organisationsformen – überraschende Befunde, die zu einer Neueinschätzung sowohl der haushaltsinternen wie - externen Organisationsweisen führen. Die Praktiken des Dienens im Haushalt selbst können hingegen als Form asymmetrischer Teilhabe beschrieben werden. Untersucht wurde das anhand des Umgangs verschiedener Haushaltsressourcen: Raumnutzung, Zugang zu Lebensmitteln und Kleidung, gewohnheitliches Anrecht auf Geschenke und Legate. Insbesondere die überraschend systematisch nachzuweisenden finanziellen Transfers („Kredite“) von DienerInnen zu ihren Herrschaften können die Verbindung von haushaltsübergreifenden Netzwerken, Fragmentierung der Dienerschaft und asymmetrischer Teilhabe am Haushalt verdeutlichen. Diese Befunde erlauben nun eine Neubewertung der ökonomischen, sozialen und politischen Funktionsweise des höfischen Adelshaushalts. Funktional und in der Wahrnehmung der Zeitgenossen waren DienerInnen in höfischen Adelshaushalten höfische Akteure: sie vermittelten die Adelshaushalte miteinander, verfestigten und differenzierten die höfische Konstellation, sorgten für eine gesellschaftliche Verknüpfung des Hofes. Als politische Akteure sind sie hingegen nur in inkriminierter Weise explizit fassbar. Jenseits eines dezisionistischen Begriffs „großer“ Politik zeigt sich aber, dass Dienstboten als Akteure in Handlungsketten die Bereiche politisch unintendierter Verfahrensweisen und der Aushandlung von Politik ganz wesentlich durch die Eigenlogiken ihrer Handlungs- und Lebensweisen mitgestalteten. Insgesamt kann so die natürlich erscheinende Verbindung von Männlichkeit, Adel und Politik aufgebrochen werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Une conversion au XVIIIe siècle. Mémoires de la comtesse de Schwerin, Bordeaux: Presses universitaires de Bordeaux 2013
Sebastian Kühn, Maurice Daumas, Claudia Ulbrich, Nina Mönnich und Ines Peper (Hg.)
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Dissimulatio als gelehrte Praxis? Politik sozialer Beziehungen in gelehrten Netzwerken; in: Wenchao Li/Simona Noreik (Hg.): Leibniz und der Gelehrtenhabitus, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2016, 35-48
Sebastian Kühn
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Dreiecksverhältnisse. Aushandlungen von Stellvertretung (Beiträge zur Rechts-, Gesellschafts- und Kulturkritik, Bd. 13), Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag 2016
Sebastian Kühn, Malte Gruber (Hg.)
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Einführung: Zur Aushandlung von Stellvertretung; in: Sebastian Kühn/Malte Gruber (Hg.): Dreiecksverhältnisse. Aushandlungen von Stellvertretung (Beiträge zur Rechts-, Gesellschafts- und Kulturkritik, Bd. 13), Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag 2016, 9-21
Sebastian Kühn, Malte Gruber
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Die Macht der Diener. Hausdienerschaft in hofadligen Haushalten (Preußen und Sachsen, 16.-18. Jahrhundert); in: Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Neue Folge: Stadt und Hof 6 (2017), 159- 169
Sebastian Kühn
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Küchenpolitik. Annäherungen an subalterne Handlungsweisen in hofadligen Haushalten des 17. und 18. Jahrhunderts; in: L’Homme Z.F.G. 28/2 (2017), 69-84
Sebastian Kühn
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Teil-Habe am Haushalt. Dienerschaften in Adelshaushalten der Frühen Neuzeit; in: Malte Gruber/Daniel Schläppi (Hg.): Von der Allmende zur Share-Economy. Gemeinbesitz und kollektive Ressourcen in historischer und rechtlicher Perspektive (Beiträge zur Rechts-, Gesellschafts- und Kulturkritik, Bd. 15), Berlin: BWV 2018, 113-136
Sebastian Kühn
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Masters as debtors of their servants in early modern Brandenburg and Saxony; in: George Oppitz-Trotman (Hg.): Early Modern Debts, London: Palgrave Macmillan 2020, pp 53-82
Egger V, Haydon PG, Pfrieger FW, Grosche A.