Bürger aus Betroffenheit? Zum Wandel von politischen Ordnungsvorstellungen am Beispiel von partizipativen Foren zu städtebaulichen Vorhaben und ihren Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Deutschland und der Schweiz
Soziologische Theorie
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ziel der Studie war es, normative Vorstellungen zu Politik und Demokratie jener Bürgerinnen und Bürgern zu rekonstruieren, die sich im Kontext der Planung städtebaulicher Vorhaben engagieren und beteiligen. Die Erforschung ihrer partizipativer Orientierungen erfolgte über zwei Zugänge: Anhand von Informationsflyern und Einladungsschreiben sollte erstens die Rahmung partizipativer Veranstaltungen und dabei die Ansprache von interessierten Bürgerinnen und Bürger rekonstruiert. Zweitens wurden Interviews mit Bürgerinnen und Bürgern geführt und analysiert, die sich über einen längeren Zeitraum hinweg bei der Planung von Bauvorhaben engagiert hatten. Um diese Personen zu finden, war die eigene Teilnahme an partizipativen Veranstaltungen notwendig. Dies hatte zur Folge, dass ergänzend zur erwähnten Datenbasis nun auch etliche interessante Beobachtungen aus dem Feld vorliegen. Letztlich ging es darum, Wissen darüber zu generieren, welche Erwartungen und Erfahrungen die sich beteiligenden Bürgerinnen mit den entsprechenden deliberativen Partizipationsformen verbinden. In der demokratietheoretischen Literatur und Diskussionen werden gerade solche Formen als Möglichkeit gesehen, eine direkteren Austausch zwischen Regierung und Bürger_innen herzustellen, wie er allein durch eine in den Medien geführte öffentliche Diskussion nicht möglich ist. Dadurch soll die Legitimität politischer Entscheidungen verbessert werden. Dies wird als notwendig erachtet, um das Vertrauen in Behörden, Regierung und Politik zu stärken. Vor diesem Hintergrund ist der in diesem Projekt vorgenommene Vergleich zwischen den beiden Ländern Deutschland und der Schweiz von besonderem Interesse. Der Bericht gibt Auskunft über das gewählte Vorgehen und inwiefern dieses von dem im Forschungsantrag ursprünglich vorgesehenen abweicht. Insgesamt wurden für die Untersuchung sechs laufende Planungen städtebaulicher Vorhaben ausgesucht, deren Beginn bereits mehrere Jahre zurückliegt: Dies sind Mitte Altona in Hamburg, das Gaswerkareal in Bern, der Kulturcampus in Frankfurt am Main, die von der US-Armee genutzten Flächen in Heidelberg, die Mittelmole in Rostock und das Hafenareal in Basel. In allen Fällen geht es um die Konversion von Flächen, die davor für andere Zwecke wie zum Beispiel die US-Armee, den Bahnverkehr oder die kommunale Gasproduktion wie die Herstellung von Energie genutzt wurden. Bei sämtlichen ausgewählten Bauvorhaben sind gemischte Nutzungen für Wohnen, Gewerbe und Erholungsraum vorgesehen. Die Einschätzungen durch die Interviewten fallen in Bezug auf den in der demokratietheoretischen Debatte kursierende Idee, Demokratien mittels informeller Partizipation zu stärken, insgesamt eher ernüchternd aus. Als positiv werden die informellen Diskussionsrunden und Workshops von den Interviewten vor allem dann gedeutet, wenn diese ihnen die Möglichkeit bieten, durch ihr Engagement eigene Projekte zu verwirklichen. Dies setzt voraus, dass das politische Gemeinwesen „Stadt“ über die entsprechende Handlungsspielräume verfügt. Doch diese Voraussetzung war bei den ausgewählten städtebaulichen Vorhaben zum Zeitpunkt der Datenerhebung nur in Heidelberg gegeben. In demokratietheoretischer Hinsicht als problematisch erweist sich der Befund, dass insbesondere jene über die nur geringe Wirksamkeit ihres Engagements enttäuscht sind, bei denen es nicht durch eine unmittelbare Interessensverfolgung motiviert ist, sondern sich aufgrund ihrer Gemeinwohlorientierung mündet. Ihre Kritik entzündet sich nicht nur an der mangelnden Verbindlichkeit der bei den Diskussionen an entsprechenden Veranstaltungen gewonnenen Ergebnissen, sondern insbesondere an den oftmals zu wenig klar geregelten Zuständigkeiten zwischen politischen Behörden und privatwirtschaftlichen Akteuren. Dies lässt auf einen Anspruch an demokratische Entscheidungsprozesse und Teilhabe schließen, die durch abgrenzbare Zuständigkeiten und transparente Verfahren geregelt sind. So können politische Anliegen und Forderungen nur auf Anerkennung stoßen, wenn es gelingt, sie an die Zuständigen zu adressieren. Dass genau an diesem Punkt für die Bürgerinnen und Bürger die größten Schwierigkeiten bestehen, wird auch durch die detaillierte Analyse der Flyer und Einladungsschreiben zu partizipativen Veranstaltungen bestätigt. Insgesamt zeigt sich in den Ergebnissen das Bild einer drohenden Verflüchtigung des Politischen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- „Affective Citizenship? Direct Participation in Urban Planning Projects”, Symposium „State, Work and Affects“, Departement of Political Science, University of Vienna, January 28 – 29
Chantal Magnin
- „Transformation of Citizenship? Direct Participation within Urban Planning Projects”, 3rd International Sociological Association Forum of Sociology, Universität Wien, 10. bis 14. Juli 2016
Chantal Magnin
- Partizipative Politik und Verantwortungsdiffusion am Beispiel städtebaulicher Vorhaben, in: Christopher Daase, Julian Junk, Stefan Kroll, Valentin Rauer (Hg.): Politik und Verantwortung. Analysen zum Wandel politischer Entscheidungs- und Rechtfertigungspraktiken. In: Sonderheft der Politischen Vierteljahresschrift PVS, 52, S. 170-195
Chantal Magnin
(Siehe online unter https://doi.org/10.5771/9783845271934-171) - „Gemeinwohl und Eigeninteressen am Beispiel partizipativer Verfahren bei der Planung städtebaulicher Vorhaben“, Kongress der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie „Gemeinwohl und Eigeninteresse“, Universität Zürich, 21. bis 23. Juni 2017
Chantal Magnin
- „The Capitalist City and Demands for more Democracy. Methodological Reflections on Objectivity and Subjectivity”, 13th Conference of the European Sociological Association “(Un)Making Europe: Capitalism, Solidarities, Subjectivities”, Universität Athen, 29. August bis 1. September 2017
Chantal Magnin