Adequate representation of group members in collective redress litigation and the role of courts
Final Report Abstract
Das Projekt befasste sich mit zwei wichtigen Teilfragen des kollektiven Rechtsschutzes: den notwendigen Qualifikationskriterien für Gruppenkläger bei Gruppen- und Verbandsklagen und der gerichtlichen Genehmigung von Massenvergleichen. Bei beiden Fragen stand die Frage des Schutzes der Gruppenmitglieder, die nicht aktiv am Gerichtsverfahren teilnehmen, im Vordergrund. Das Projekt umfasste insgesamt im Wesentlichen drei Dissertationen, von denen zwei komplett aus den Projektmitteln finanziert wurden. Alle drei Arbeiten waren rechtsvergleichend, teilweise empirisch angelegt und bezogen die weltweit wichtigsten Erfahrungen aus class actions und kollektiven Vergleichsverfahren ein (USA, Australien, Niederlande). Darüberhinaus konnten die sich im Laufe der Projektlaufzeit ergebenden gesetzlichen Reformen in Vereinigten Königkreich, Frankreich und Belgien berücksichtigt werden. Im Ergebnis zeigt sich, dass europäische oder nationale Gesetzgeber nicht nur wie bisher auf die bestehende oder fehlende Gewinnorientierung des Grupperepräsentanten achten müssen, sondern viel mehr Gewicht auf rechtliche Struktur, interne Governance, Transparenz und fachliche Qualifikation legen müssen und ein geeignetes Prüfverfahren entwickeln müssen. Es empfiehlt sich, dass das befasst Gericht ggf. unter mehreren interessierten Gruppenvertretern denjenigen auswählt, der das Verfahren führen soll. Bei der Genehmigung von Vergleichen empfiehlt sich nach US-Vorbild die Entwicklung von Kriterienkatalogen zur Beurteilung der vorgeschlagenen Vergleiche, die typische Interessenkonflikte und Fehlanreize berücksichtigen sowie die sorgfältige Entwicklung gerichtlicher Instrumente zur Informationsgewinnung in der Genehmigungsphase. Gerade die Genehmigung von Massenvergleichen ist angesichts des möglichen finanziellen Interessen des Klägerseite und ihres Anwaltes eng mit der Frage nach der Finanzierung von Massenverfahren verbunden, die dringend einer gesetzlichen Regelung in Europa bzw. Deutschland bedarf, wie sich gezeigt hat. Mit der Stärkung des kollektiven Rechtsschutzes ist es notwendig, die kontinentale Richterschaft auf einen Rollenwechsel vorzubereiten und für die Kontrolle des Gruppenklägers bezüglich der adäquaten Wahrnehmung der Gruppeninteressen zu sensiblisieren, da dies vielfach dem richterlichen Selbstverständnis von Neutralität noch widerspricht. Konkrete gesetzliche Vorgaben zur Qualifikation der Gruppenkläger, aber auch zur richterlichen Inhaltskontrolle von Vergleichen sind dabei ebenso notwendig wie spezielle Fortbildungsangebote unter internationaler Beteiligung. Die US Erfahrung lehrt, dass es erheblicher Erfahrung bedarf, um etwa typischen Risiken und Fehlanreize bei Gruppenvergleichen zu identifizieren. Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes müssen daher zuständigkeitsrechtlich konzentriert werden und eine Spezialisierung der Richterinnen und Richter ermöglichen. Das in den USA bewährte Instrument von „manuals“ sollte auch in Europa etabliert werden. Es erlaubt – jenseits der Kommentarliteratur, die ohnehin nur in Deutschland Tradition hat und sich häufig mit der Systematisierung und kritischen Kommentierung von Rechtsprechung begnügt – praktische Handlungsanweisung, Kriterienkataloge und den konkreten Transfer praktischer Erfahrungen. Das dem kollektiven Rechtsschutz und der „private attorney general“ Idee immanente Problem des „who will guard the guardians“ lässt sich aber wohl nicht allein durch die Gerichte lösen, wie das Projekt zeigt. Eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit kann durch besondere Transparenz sowohl der agierenden Gruppenkläger als auch von Massenvergleichen hergestellt werden, gegebenfalls auch durch die Zulassung von amicus curiae Interventionen öffentlicher Stellen. Da die EU-Kommission im Frühjahr 2018 neue konkrete Vorschläge für Rahmenvorgaben zum kollektiven Rechtsschutz in den Mitgliedstaaten vorgelegt hat (die deutlich über die vom deutschen Gesetzgeber im Sommer 2018 verabschiedete Verbraucher-Musterfeststellungsklage hinausgehen), besteht die Chance, dass die Forschungsergebnisse bei der allfälligen Umsetzung einer Richtlinie Eingang finden. Sie fanden und finden überdies Berücksichtigung bei der Ausarbeitung von Model Rules zum kollektiven Rechtsschutz im Rahmen des ELI/UNIDROIT Projektes „From Transnational Principles to European Rules of Civil Procedure“, an dem die Projektverantwortliche maßgeblich mitarbeitet.
Publications
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„Die Bündelung von gleichgerichteten Ansprüchen durch Inkassozession - Geschäftsmodelle zur Prozessfinanzierung auf dem Prüfstand“, Juristenzeitung (JZ) 2014, S. 613-622
Astrid Stadler
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Die Umsetzung der Kommissionsempfehlungen zum kollektiven Rechtsschutz, ZfPW 2015, 61-84
Astrid Stadler
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„Schadensersatzklagen im Kartellrecht - Forum shopping welcome!“ , Juristenzeitung (JZ) 2015, S. 1138-1149
Astrid Stadler
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"Funding of mass claims in Germany – caught between a rock and a hard place? in van Boom, W. , Litigation, costs, funding and behaviour - implications for the law, 2016, S. 201-221
Astrid Stadler
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„Die Qualifikation als Gruppen- oder Verbandskläger im kollektiven Rechtsschutz“, Dissertation Konstanz, Verlag Mohr Siebeck 2017, Veröffentlichungen im Verfahrensrecht Bd. 140, 445 S.
Heiko Dürr-Auster
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"Kollektiver Rechtsschutz bei Anlegermassenschäden" in: Lehmann M./Zetzsche D. (Hrsg.), "Grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen" 2018, S. 519-544
Astrid Stadler
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Abtretungsmodelle und gewerbliche Prozessfinanzierung bei Massenschäden, WuW 04/2018, S. 189-194
Astrid Stadler
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Kollektiver Rechtsschutz quo vadis?, JZ 2018, Heft September
Stadler
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„Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen im kollektiven Rechtsschutz : eine Untersuchung zum US-amerikanischen, niederländischen und deutschen Recht“ , Dissertation, Universität Konstanz, 2018, Mohr Siebeck, Tübingen, 2020. XXIII, 374 S.
Alexander Eggers