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Diskurs und Praktiken in schrumpfenden Regionen. Eine Untersuchung zur subjektiven Relevanz von Schrumpfungsdiskursen am Beispiel des Landkreises Altenburger Land

Fachliche Zuordnung Humangeographie
Förderung Förderung von 2013 bis 2017
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 233897295
 
Erstellungsjahr 2016

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Ziel des Projekts war es, die Bedeutung von Schrumpfungsdiskursen im Rahmen alltäglicher Praktiken zu analysieren, indem die Bedeutung diskursiver Prozesse auf der Ebene des subjektiven Lebenszusammenhangs, verstanden als individuelle und sozial eingebettete Situation einer Person, rekonstruiert wird. Am konkreten empirischen Beispiel wird Hypothesen-geleitet gezeigt, ob und inwieweit Schrumpfungsdiskurse auf der Ebene der Subjekte Relevanz für ihre Praktiken haben. Dazu wurden in drei induktiv gewonnenen Themenfeldern – „Jugendliche und ihre Zukunftsperspektiven“, „Kirchliche Restrukturierung “, „Ehrenamtliches Engagement“ – insgesamt 34 Gruppendiskussionen und 82 Interviews durchgeführt. Ausgangspunkt war eine theoretische Rahmung, die einerseits diskurstheoretische Ansätze verwendet, um die strukturierende Effekte übersubjektiver Narrationen zu erfassen, und andererseits praxistheoretische Ansätze einbezieht, um die Logiken und Bedingungen des Handelns und damit die Rolle des Wissens und der Bedeutungszuschreibungen zu verstehen. Als wesentliche Befunde sind zu nennen: 1. Regionsbezogene Stigmatisierungsprozesse als Folge langanhaltender sozioökonomischer Marginalisierungs- und Abwertungsprozesse sind auf die Ebene der Subjekte in zweifacher Hinsicht relevant: Zum einen führen sie – in unserem Fall auch im Kontext eine prävalenten Drogenmissbrauchsdebatte – zu Rhetoriken der Kennzeichnung anderer Orte, Gruppen, Regionen als deviant; Stigmatisierungen werden mithin nicht durchbrochen, sondern kopiert und übertragen. Zum anderen sind Stigmatisierungsprozesse durchaus relevant im Hinblick auf Bleibe- und Wegzugsentscheidungen. 2. Differenzierend hierzu konnte gezeigt werden, dass zwischen Stigmatisierungen und Effekten keine monokausale Beziehung besteht, sondern vielmehr ein komplexer, durch zahlreiche sozialstrukturelle wie semantische Elemente vermittelter Zusammenhang besteht. Diesbezüglich wurde deutlich, dass familiäre Verhältnisse, Freundeskreise und erste berufsrelevante Erfahrungen eine wesentlich höhere prägende Funktion haben als beispielsweise die Schule. Es blieb jedoch offen, ob Schulen als vermittelnde Instanz eine größere Bedeutung erlangen könnten, wenn sie sich stärker strategisch mit der Reflektion der regionalen Lebensverhältnisse auseinandersetzen würden. 3. Insbesondere in den Themenfeldern „Kirchliche Restrukturierung“ und „Ehrenamtliches Engagement“ konnte gezeigt werden, dass administrative Ordnungsvorstellungen und politische Regulierungslogiken eine widersprüchliche Resonanz erfahren, die zur Artikulation einer lokalen Ohnmacht gegenüber als aufoktroyiert empfundenen Handlungsorientierungen beiträgt. Damit verfestigen sich – sowohl subjektiv wie auch diskursiv - skalare Abkopplungen von translokalen, entpersonalisierten Entscheidungsinstanzen und lokal davon Abhängenden, die sich als eben solche, nämlich weitgehend machtlos wahrnehmen. Neben einer großen Bereitschaft, im Rahmen des Projekts an Interviews und Gruppendiskussionen teilzunehmen – die durchaus im Kontrast zur gelegentlich beschworenen „Befragungsmüdigkeit“ stand –, war die konstante Thematisierung des „Drogenproblems“ in dieser Massierung überraschender Befund. Anwendungsbezüge ergaben sich bei der Aushandlung des Konflikts zur Reorganisation der Pfarrstellen im Kirchenkreis; eine von uns geplante Diskussion der Befunde zu Jugendlichen und ihren Zukunftsperspektiven konnte bislang nicht stattfinden. „Demografie und Demokratie – Wenn Gefühle der Vernachlässigung zu Politik werden“, von Andrea Gerlach; Hintergrund Politik, Deutschlandfunk, 21.11.2016. „Altenburger Kirchenkreis: Seit 1993 zwei Drittel Pfarrstellen weniger“, von Bastian Fischer, Leipziger Volkszeitung online, 20.1.2016. „Kirchenkreis büßt in nur 20 Jahren zwei Drittel seiner Pfarrerstellen ein“, von Bastian Fischer, Osterländer Volkszeitung, 20.1.2016, S. 11. „Das eine Image gibt es nicht“, von Moritz Arand, Leipziger Zeitung, 23.10.2015, S. 15.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2013): The Subject and the Periphery. About Discourses, Loopings and Ascriptions. In: Naumann, M.; Fischer-Tahir, A. (Hrsg): Peripheralization. The Making of Spatial Dependencies and Social Injustice. Wiesbaden: VS, 207-223
    Meyer, F.; Miggelbrink, J.
  • (2014): „Ich will schon gern mal so einen Pfarrer beim Gottesdienst sehen“. Über territoriale Organisation von Religiosität und Räume des Religiösen im ländlichen Raum unter Schrumpfungsbedingungen. Berichte. Landeskunde und Geographie 88 (3/4) 293-315
    Miggelbrink, J.; Meyer, F.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-662-55198-1_7)
  • (2015): Lost in Complexity? Decisions in research on the social constructions of peripherality. In: Lang, T.; Henn, S.; Ehrlich, K.; Sgibnev, W. (Hrsg.): New Geographies of Central and Eastern Europe. Socio-Spatial Polarization and Peripheralization in a Rapidly Changing Region. Palgrave, 62-79
    Miggelbrink, J.; Meyer, F.
  • (2015): Spuren medialer räumlicher Repräsentationen in den Wahrnehmungen von Subjekten – Ansatzpunkte zur Analyse. Geographische Zeitschrift 103 (4) 202-216
    Miggelbrink, J.; Meyer, F.
  • (2015): Subjektivität und Kausalität in der Migration(sforschung): Annäherungen an Rationalisierungen von Migrationsentscheidungen in schrumpfenden Regionen. Raumforschung und Raumordnung 73 (1) 17-30
    Meyer, F.; Miggelbrink, J.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/s13147-014-0319-2)
  • (2016): Reflecting on the Margins: Socio-spatial Stigmatisation among Adolescents in a Peripheralised Region. Comparative Population Studies
    Meyer, F.; Miggelbrink, J.; Schwarzenberg, T.
    (Siehe online unter https://dx.doi.org/10.12765/CPoS-2016-10en)
 
 

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