Die mittellatènezeitliche Holzbrücke mit Siedlung bei Kirchhain-Niederwald (Hessen) und ihre Einbettung in die Siedlungslandschaft des Amöneburger Beckens: Interdisziplinäre Untersuchungen zu Umweltbedingungen, wirtschaftlichen Grundlagen und überregionalen Verbindungen während der Latènezeit
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Rahmen der ersten Förderphase waren die Fundstellen im Bereich der Kiesgrube von Kirchhain-Niederwald interdisziplinär ausgewertet und in den Kontext der latènezeitlichen Besiedlung des Amöneburger Beckens eingebettet worden. Dabei konnten zahlreiche neue Erkenntnisse zur Flussgeschichte und zu Reliefveränderungen, zur Brückenbautechnik und zu den Ausbauphasen des Flussübergangs, zu Besiedlungsmustern und Verkehrsverbindungen sowie zur Vegetation und Landnutzung in der Eisenzeit gewonnen werden. In der zweiten Förderphase wurde der Wandel im Siedlungs- und Landschaftsbild des Amöneburger Beckens von der Urnenfelderzeit bis zur beginnenden Spätlatènezeit untersucht. Die komplizierte Feinstratigraphie im Bereich der Brückenfundstelle konnte bis zum Ende der ersten Förderphase nicht zufriedenstellend gedeutet werden. In der zweiten Förderphase wurde die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit nochmals intensiviert, um die offenen Fragen gemeinsam zu klären. Im Vordergrund standen dabei Widersprüche in der Datierung der Sedimente. Die endgültige Auflösung dieser Widersprüche gelang jedoch erst, als eine erneute dendrochronologische Begutachtung der Hölzer überraschende neue Ergebnisse erbrachte, nach denen die Brücke bereits in der ausgehenden Frühlatènezeit erbaut worden war und bis zum Ende der Mittellatènezeit genutzt wurde. Anlass für den Bau der Brücke um/nach 269 v. Chr. war vermutlich einerseits eine verstärkte Flussdynamik, andererseits die Ausbreitung der Besiedlung nach Norden und der Ausbau der zentralen Höhensiedlung auf der Amöneburg. Die Aufgabe der Brücke in den Jahrzehnten nach der letzten nachweisbaren Reparatur im Jahr 168 v. Chr. steht höchstwahrscheinlich mit der raschen Sedimentation im Flussbett unter der Brücke im Zusammenhang. Im Zuge der Besiedlungsanalyse konnte beobachtet werden, dass sich die Besiedlung in der Urnenfelderzeit weitestgehend auf die südlichen und mittleren Bereiche des Amöneburger Beckens beschränkte. Im Verlauf der älteren Hallstattzeit begann sich die Besiedlung auf die im Norden liegende Ohmniederung sowie auf die dort an das Becken angrenzenden Höhen auszubreiten. Ihre größte Ausdehnung erreichte die Besiedlung in der späten Früh- und in der Mittellatènezeit. Die gleichzeitig durchgeführte Modellierung eines möglichen lokalen Wegenetzes erlaubte den Schluss, dass neue Siedlungen bevorzugt an bestehenden Wegen angelegt wurden. Die archäobotanischen Untersuchungen bestätigen, dass die archäologische Analyse der Besiedlungsentwicklung ein zutreffendes Bild zeichnet. Makroreste, Pollen und Sporen zeigen, dass in der Urnenfelderzeit die Ohmniederung um Kirchhain-Niederwald von einer Waldlandschaft geprägt war, die im Lauf der Hallstattzeit durch starke anthropogene Eingriffe in eine Kulturlandschaft umgestaltet wurde. Landnutzung und Landwirtschaft erfuhren in der Frühlatènezeit eine weitere Intensivierung, bis sich das Ausmaß der Eingriffe in der frühen Spätlatènezeit etwas abschwächte. Die Ergebnisse archäologischer und naturwissenschaftlicher Analysen zum Wandel von Besiedlung und Landnutzung im Amöneburger Becken innerhalb des ersten vorgeschichtlichen Jahrtausends zeigen, dass neue, interdisziplinäre Wege das Verständnis von Zusammenhängen zwischen Besiedlungs-, Landschafts- und Verkehrsentwicklung in der vorrömischen Eisenzeit wesentlich erweitern können. Sie geben Einblicke in das Alltagsleben sowie die Landwirtschaft und beleuchten die räumliche Entwicklung der Besiedlung und mit dem Brückenbauwerk eine technische Meisterleistung dieser Zeit. Sie machen jedoch auch deutlich, wie stark die Einflüsse und Eingriffe menschlicher Siedlungstätigkeit und Landnutzung bereits waren. Ob die großflächige Öffnung der Landschaft und ihre Aufsiedlung seit der Hallstattzeit planmäßig erfolgte oder der mehr oder weniger unkontrollierten Ausbreitung einer wachsenden Bevölkerung geschuldet waren und welche Siedlungsformen dabei vorherrschten, lässt sich derzeit noch nicht beantworten. Die Brücke zumindest stellte eine gezielte Verbesserung der Infrastruktur dar, die wahrscheinlich auf die Initiative der lokalen Eliten auf der Amöneburg zurückgeht.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Fundort Kiesgrube: Die keltische Brücke von Kirchhain-Niederwald, Hessen. Die Ergebnisse der dendrochronologischen Untersuchungen und der 14C-Datierungen. In: C. Tappert/C. Eggl/J. Fries-Knoblach et al. (Hrsg.), Wege und Transport. Beiträge zur Sitzung der AG Eisenzeit während der 80. Verbandstagung d. West- u. Süddeutschen Verb. f. Altertumsforschung e. V. in Nürnberg 2010. Beitr. z. Ur- und Frühgesch. Mitteleuropas 69 (Langenweißbach 2012) 49-59
Christa Meiborg
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Eine latènezeitliche Siedlung am Fluss – Ausgrabungen 2009-2012 in Kirchhain-Niederwald. Hessen-Arch. 2012 (2013) 74- 78
Christa Meiborg/Rolf-Jürgen Braun/Esther Lehnemann/Ralf Urz
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Siedlung – Ufer – Brücke. Die latènezeitlichen Tierknochenfunde aus Kirchhain-Niederwald. Hessen-Arch. 2014 (2015) 72-75
Karlheinz Steppan/Esther Lehnemann
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Eine Brücke in die Vergangenheit. Archäologie in Deutschland 4, 2017 , 8-13
Esther Lehnemann/Ralf Urz/Astrid Stobbe/Christa Meiborg
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„Über bekannte Strecken schnell fahren?“ Die mittellatènezeitliche Brücke für Wagen und Fußverkehr bei Kirchhain-Niederwald, Ldkr. Marburg-Biedenkopf. In: lucundi acti labores. Festschrift für Egon Schallmayer anlässlich des 65. Geburtstags, hrsg. von Udo Recker. Hessen- Arch., Sonderbd. 5 (Darmstadt 2017) 94-106
Esther Lehnemann/Ralf Urz/Christa Meiborg