Visual Communication in Science: the Case of Computational Neuroscience
Final Report Abstract
In der situativen Realisierung des interdisziplinären Group Talks amalgamieren die strukturellen Eigenschaften und Bedingungen der sozialen Konstellation der Kommunizierenden mit ihren rhetorischen Registern und Visualisierungsformen zu einer spezifischen Kommunikationsweise, die sich in einem bestimmten Wissensbestand niederschlägt und so von den Akteuren im Feld untereinander ausgetauscht und im Rahmen der gemeinsamen Interaktionsgeschichte institutionalisiert und legitimiert wird. Neben die Visualisierungspraktiken und visuellen Repertoires der Forscher/-innen in der untersuchten Forschungsgruppe rückte vor allem dieses Wissen in den Fokus der Betrachtungen, das wir in Anlehnung an Daston und Galison (2007) als „präsentationales Wissen“ bezeichnen. Dieses spezifische Wissen umfasst die auf „visual literacy“ (Goodwin 1994) basierende besondere Kenntnis von Praktiken der visuellen Repräsentation sowie die Fähigkeit, im Sinne eines maßgeschneiderten „recipient designs“ (Sacks et al. 1974) visuelle Repräsentationen, im Kontext der Kommunikation von wissenschaftlicher Erkenntnis in heterogen konfigurierten Forschungszusammenhängen, so einzusetzen, dass die jeweils eigene Position intersubjektiv evident wird. Neben den subjektiv erworbenen neuen Kenntnissen werden so zugleich auch bestimmte Repräsentationsformen ausgebildet und legitimiert. Im Rahmen unserer videografisch gestützten Ethnografie wurde deutlich, wie stark die Wissenskommunikation in der untersuchten Forschungsgruppe mit diesen Visualisierungspraktiken und dem begleitenden explizitem visuellen sowie präsentationalem Wissen einhergeht. Die Evidentmachung der Bedeutung von eigenen Ansätzen und Forschungsergebnissen im Group Talk hängt maßgeblich vom präsentationalen Wissen ab: davon nämlich, welche Visualisierungsformen gewählt werden, welches Visualisierungswissen bzw. welche Sehgewohnheiten bei den Rezipienten antizipiert werden und schließlich ob ein spezifischer Ansatz oder ein Forschungsergebnis überhaupt visuell darstellbar ist. Auch in den geführten Expert/-inneninterviews wurde deutlich, dass die einzelnen Forschenden ein explizites (präsentationales) Wissen um visuelle Kommunikationsstrategien zur Integration der unterschiedlichen Wissensbestände in ihrem Feld besitzen und es in ihrer sprachlichen wie visuellen Kommunikation zum Einsatz bringen. Gleichzeitig verdeutlichte die teilnehmende Beobachtung an den regelmäßigen Group Talks aber, dass diese Wissensbestände noch nicht vollständig institutionalisiert sind und der Gruppe daher auch noch nicht als ein-eindeutiges Fix-und-Fertig-Schema (Schütz) zur Verfügung stehen. Vielmehr basieren Formulierung und Anwendung dieses spezifischen Wissens, das für die Kommunikation im Feld der CNS maßgeblich ist, im Wesentlichen auf individuellen Vorbildern innerhalb der Gruppe, sodass reparaturbedürftige Störungen der Evidenzerzeugung im heterogenen Kontext des Group Talks stets auf der Tagesordnung stehen. Verwertbare Ergebnisse dieser Untersuchung sind auf empirischer, methodischer und theoretischer Ebene zu finden. In empirischer Hinsicht konnten wir ein neues Wissenschaftsfeld beschreiben, das exemplarisch sowohl für die neue inter- und transdisziplinäre Organisationsweise der Forschung als auch für die zunehmend computergestützte Erkenntnisproduktion in den Natur- und Technikwissenschaften steht. Unsere wissenssoziologisch angeleitete Methodologie erwies sich als fruchtbar, um in diesem Feld eine neue Form der innerwissenschaftlichen Kommunikation aufzuschlüsseln: den Group Talk und das zugrundeliegende präsentationale Wissen. Die gewonnenen Erkenntnisse konnten wir zugleich nutzen, um die soziologische Videografie für die Bedeutung präsentationalen Wissens in der eigenen Forschung zu sensibilisieren und dies am Beispiel von soziologischen Interpretationsbildern zu verdeutlichen. Schließlich leistet unser Projekt einen Beitrag zur theoretischen Weiterentwicklung der soziologischen Gattungsanalyse, indem wir den neuen Ansatz des Kommunikativen Konstruktivismus integrieren und damit den Analysefokus von der rein sprachlichen Kommunikation auf visuelle, materielle und performative Formen erweitern. Als überraschende Ergebnisse erwiesen sich im Laufe unserer Untersuchung erstens, dass wesentliche Teile der Wissensproduktion nicht im Labor stattfanden, sondern erst im Group Talk ihre kommunikative Intersubjektivierung erfahren. Zweitens konnten wir – entgegen der prominenten These vom Modus 2 – beobachten, dass es im Group Talk keineswegs zur Auflösung von Fachgrenzen kommt, im Gegenteil wird das Einbringen disziplinärer Kompetenzen als vitale Ressource des Feldes betrachtet und praktiziert.
Publications
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