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Alltag und Lebenswelt von heimatlosen Armen ("Landarme") im 19. Jahrhundert in Westfalen

Subject Area Social and Cultural Anthropology and Ethnology
Term from 2005 to 2008
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 22811998
 
Final Report Year 2008

Final Report Abstract

Im Mittelpunkt des Projektes standen heimatlose Arme, die im 19. Jahrhundert als so genannte Landarme vom Landarmenverband der Provinz Westfalen unterstützt wurden. Anhand der Insassenakten des zentralen Landarmenhauses der Provinz, in Benninghausen bei Lippstadt (heute Kreis Soest) gelegen, konnten ihre Biografien ebenso wie ihr Alltagshandeln rekonstruiert werden. Dabei konnte gezeigt werden, dass die Armenfürsorge aus einem Wechselspiel zwischen dem Agieren der Fürsorgevertreter und der Fürsorgeempfänger bestand. Die Landarmen waren weniger passive Hilfeempfänger als vielmehr Akteure, die ihre Interessen durchzusetzen versuchten und eigene Vorstellungen ihres weiteren Lebensweges verfolgten. Im Landarmenhaus selbst boten sich ihnen Möglichkeiten, ihre Situation zu verbessern, Erfahrungen über den Umgang mit den Behörden auszutauschen und schließlich ihre Entlassung zu forcieren oder der Anstaltsunterbringung durch eine Flucht selbst ein Ende zu setzen. Es ist dabei keine Frage, dass die Vertreter des Landarmenverbandes weit mächtiger waren als die Landarmen, und dem Handeln der Bedürftigen enge Grenzen setzten. Doch in zahlreichen Fällen schufen die Landarmen auf ihre Weise Fakten und zeigten hierdurch ihrerseits den Vertretern des Landarmenverbandes die Grenzen der obrigkeitlichen Macht auf. Ebenso konnten sich aber auch Interessen des Landarmenverbandes und der Landarmen überschneiden, etwa bei Alimentationsklagen, aber mitunter auch bei der Flucht. Die Armenfürsorge war nur formal ein strikt hierarchisches Modell, das den Bedürftigen keinen Handlungsspielraum eröffnete. In der Praxis hingegen zeigte sich ein eng verwobenes Netz von Interessen und Interessenskonflikten, Sachzwängen und Spielräumen auf beiden Seiten. Die Landarmen waren zwar zweifellos Opfer der sozialen Verhältnisse. Dies bedeutete jedoch nicht, dass sie dieser Situation wehrlos ausgeliefert waren. Sie entwickelten individuelle ebenso wie kollektive Alltags- und Überlebensstrategien, die mal mehr mal weniger erfolgreich waren, aber alle zeigen, dass es sich bei den Bedürftigen nicht um passive Objekte der Fürsorge handelte.

Publications

  • Eva-Maria Lerche: "... vollständig in Kost und Pflege zu halten". Private Pflegeunterbringung durch das westfälische Landarmenhaus Benninghausen (1843-1891), in: Newsletter des Arbeitskreises Agrargeschichte, Nr. 18 (2006), S. 15-25.

  • Eva-Maria Lerche: Forschungsbericht: Alltag und Lebenswelt von heimatlosen Armen (¿Landarme`) im 19. Jahrhundert in Westfalen, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 56 (2008) 1, S. 73-79.

 
 

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