Identifikation von ursächlichen Genen für die Dyslexie durch genomweite Assoziationsstudien
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Ziel des Projekts war die Identifikation von genetischen Risikovarianten für die Dyslexie. Hierfür wurde eine Metaanalyse mit Daten genomweiter Assoziationsstudien (GWAS) aus sechs europäischen Bevölkerungsgruppen durchgeführt. Zunächst wurden DNA-Proben von 1.575 Personen, die an einer Dyslexie leiden und/oder detailliert neurokognitiv untersucht wurden, genomweit genotypisiert und mit den bereits zur Verfügung stehenden Genotyp- Daten von Patienten und Kontrollen zusammengeführt. Anschließend wurde der Datensatz (2.274 Patienten, 6.272 Kontrollen) genomweit mit den Programmen SHAPEIT und IMPUTE2 imputiert. Nach verschiedenen QC-Schritten standen > 4 Millionen SNPs pro Individuum für weitere Analysen zur Verfügung. Für jede Bevölkerungsgruppe wurde eine GWAS mit dem Programm PLINK berechnet und anschließend eine GWAS-Metaanalyse mit dem Programm METASOFT durchgeführt. Bei der kategorialen Betrachtung war rs6035856 der stärkste zur Dyslexie assoziierte SNP (P = 9.9 x 10^-08). Bei der Variante handelt es sich um einen intronischen SNP, der im Gen LOC388780 auf Chromosom 20p13 lokalisiert ist. Auch wenn das Gen und die Variante bislang kaum funktionell charakterisiert sind, lassen bioinformatische Analysen die Vermutung zu, dass der Variante regulatorische Funktion zukommt. In der GWAS-Metaanalyse unter Verwendung der quantitativen neurokognitiven Merkmale zeigten zwei Varianten genomweit signifikante Assoziation. Die Variante rs17663182 auf Chromosom 18q12 war zum Phänotyp schnelles Benennen (numbers) assoziiert (P = 2.8 x 10^-09) Die Variante liegt in LINC00669, einer long non-coding RNA, die auch unter der Annotation MIR924HG bekannt ist. Die Assoziation ist in Zusammenschau mit Vorbefunden interessant, die am gleichen Locus starke Kopplungssignale zwischen schnelles Benennen in Familien und genetischen Varianten finden konnten. Bislang liegen keine Daten zur Funktion von MIR924HG vor. Das am nächsten gelegene Protein-kodierende Gen ist CELF4, dessen Genprodukt stark im ZNS exprimiert wird. Zudem wurden Mutationen in CELF4 bereits mit zentralnervösen Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung gebracht. Der zweite genomweit signifikante Befund betrifft rs16928927 auf Chromosom 8q12 und zeigte Assoziation zu schnelles Benennen (Buchstaben) (P = 2.2 x 10^-08). Die Variante liegt in Intron 1 des Gens NKAIN3, dessen Genprodukt zu einer Gruppe von Proteinen zählt, die zentralnervös exprimiert werden. Auch wenn über die Funktion von NKAIN3 noch recht wenig bekannt ist, wurde es zuvor mit der Entstehung der Bulimia Nervosa und des Dravet-Syndroms in Zusammenhang gebracht. Aufbauend auf den Ergebnissen der GWAS-Metaanalyse haben die Antragsteller gemeinsam mit Prof. Simon Fisher vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen das internationale Forschungsnetzwerk „GenLang“ gegründet. Ziel ist die Zusammenführung aller international verfügbaren GWAS Datensätze mit dichotomen und quantitativen Sprachassoziierten Phäntoypen. Die Ergebnisse werden Ausgangspunkt für weitergehende funktionelle Untersuchungen sein, mit dem langfristigen Ziel die Biologie der menschlichen Sprachfähigkeit und ihrer Störungen systematisch aufzuklären.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2012) Evidence for the involvement of ZNF804A in cognitive processes of relevance to reading and spelling. Transl Psychiatry 2: e136
Becker J, Czamara D, Hoffmann P, Landerl K, Blomert L, Brandeis D, Vaessen A, Maurer U, Moll K, Ludwig KU, Müller-Myhsok B, Nöthen MM, Schulte-Körne G, Schumacher J
(Siehe online unter https://doi.org/10.1038/tp.2012.62) - (2013) A common variant in myosin-18B contributes to mathematical abilities in children with dyslexia and intraparietal sulcus variability in adults. Transl Psychiatry 3: e229
Ludwig KU, Sämann P, Alexander M, Becker J, Bruder J, Moll K, Spieler D, Czisch M, Warnke A, Docherty SJ, Davis OS, Plomin R, Nöthen MM, Landerl K, Müller-Myhsok B, Hoffmann P, Schumacher J, Schulte-Körne G, Czamara D
(Siehe online unter https://doi.org/10.1038/tp.2012.148) - (2014) Genetic analysis of dyslexia candidate genes in the European cross-linguistic NeuroDys cohort. Eur J Hum Genet 22: 675-80
Becker J, Czamara D, Scerri TS, Ramus F, Csépe V, Talcott JB, Stein J, Morris A, Ludwig KU, Hoffmann P, Honbolygó F, Tóth D, Fauchereau F, Bogliotti C, Iannuzzi S, Chaix Y, Valdois S, Billard C, George F, Soares-Boucaud I, Gérard CL, van der Mark S, Schulz E, Vaessen A, Maurer U, Lohvansuu K, Lyytinen H, Zucchelli M, Brandeis D, Blomert L, Leppänen PH, Bruder J, Monaco AP, Müller-Myhsok B, Kere J, Landerl K, Nöthen MM, Schulte-Körne G, Paracchini S, Peyrard-Janvid M, Schumacher J
(Siehe online unter https://doi.org/10.1038/ejhg.2013.199) - (2015) Polymorphisms in DCDC2 and S100B associate with developmental dyslexia. J Hum Genet 60: 399-401
Matsson H, Huss M, Persson H, Einarsdottir E, Tiraboschi E, Nopola-Hemmi J, Schumacher J, Neuhoff N, Warnke A, Lyytinen H, Schulte-Körne G, Nöthen MM, Leppänen PH, Peyrard-Janvid M, Kere J
(Siehe online unter https://doi.org/10.1038/jhg.2015.37)